Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1929)
DOI Artikel:
Hofmiller, Josef: Über E. G. Kolbenheyer
DOI Artikel:
Kolbenheyer, Erwin Guido: Aus dem Werk E. G. Kolbenheyers
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0117

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Krisenmenschen und Krisenzeiten sind schöpferisch. Fähigkeit zur Krise isi
vielleicht die VorausseHung des Schasiens. Die siärksten inneren Krisen gehen
vor sich, ohne nach außen irgendwie sichtbar zu werden. Alle Spannung ist
innerlich. Wenn sie sich manifesiiert, ist sie überwunden. Dies macht das
Lesen des Spinoza-Romans ,Rrnor Ooi" und des „Paracelsus" an den
Stellen am ausregendsien, die der Leser, dem es nur um die sogenannte Hand-
lung zu tun ist, überschlagen möchte.

2lber das Sichtbarwerden der überwundenen Krise verlangt Fülle der llm-
welt, und so siellk Kolbenheyer seine Gestalten in die ganze Breike der Zeit
und ürtlichkeit, ob es sich um den Amsierdamer Philosophen handelt oder
um den sahrenden Wunderarzt oder den armen Teufel von Flickschusier in
einem äußeren Bezirk. Farbe, Schärfe, Neichtum dieser llmwelk ließen den
Irrtum aufkommen, als sei ihr Gesialter ein verspätetcr Nakuralist. In
Wirklichkeit ist er keiner literarischen Strömung irgendwie verbunden. Weder
von den Franzosen hat er etwas angenommen, noch von den Nussen, noch von
den Nvrdländern. Kein zeitgenössischer deutscher Einfluß isi bei ihm zu be-
merken. Er steht von Anfang an für sich allein.

Sein Werk hat einen ruhenden llnkerton: das Religiöse. llnd einen schwcben-
den Oberton: das Musikalische. Der eine am siärksien im „Meisier Ioachim
Pausewang", der andere im „Lächeln der Penaten". Während seine übrigen
Erzählungen fast am Tragischen siehen, geht von diesen beiden eine eigentüm-
liche gedämpfte Heiterkeit aus, deren man sich mit jedem wiederholten Lesen
siärker bewußt wird: die Sicherheit, mit welcher der Steinklopferhans bei
Anzengruber aussprichk: „'s kann dir nix g'schehn." In beiden siehen auch
Kolbenheyers schönste Kinderszenen. Ist dies nicht merkwürdig, daß wir
ihm, der mit Vorliebe die Einsamsten gestaltet, zugleich die rührendsien Ein-
blicke in die Seele des Kindes verdanken, die Studie „Klein Rega", die Kind-
heit des Paracelsus, Ioachim Pausewang und die wilde KaH' beim Gäns-
hüten, und Regi und Steffi? Aber sind nicht auch dies wiederum zwei Töne,
ein dunkler, der ruht, und ein heller, der schwebt?

Einige Kritiker haben sein „Lächeln der Penaten" den Noman der Wiencr
Inflation genannt; andere den Roman des sich wieder auf sich selbsi besinnen-
dcn Bürgertums; andere einen Musikerroman; andcre ein Familienerlebnis
mit siarkem aukobiographischen Einschlag wie ekwa manche Rkovellen Tol-
siois. Es isi dies alles zusammen und mehr; dies alles zusammen, verbunden,
beseelt durch etwas Organisches, das sich nicht bezeichnen läßk, desscn man sich
jedoch bei wiederholtem Lesen immer deutlicher bewußk wird. Man muß zu
so abgebrauchten Bildcrn wie „Gotischer Mensch" greifen, um das Anders-
sein dieser Werke und ihrer Gestalten auszudrücken.

Aus dem Werk E. G. Kolbenheyers

Devise

Knechte dich selbst, dann tvirsi du ei'n Herr sein;

Federleicht über Geschrei und Ruhm,

Wirst du der Waage erst wichtig und schwer sein:

Kunst, deine Kunst wird Menfchentum.

96
 
Annotationen