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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 5 (Februar 1930)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0390

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Barlach ist auch ein Meister der Zeichnung auf Stein und Holz, ein stark crpres-
sionistischer Jllustrator eigener unö fremder Dichtungen. Hicr schwingen die weiten
Kurven seiner Linien noch freier und kühner und srnd osi so einprägsam wie im
geschnitzten Werk. Der innere Sinn und die Schau des Dichter-Plastikers kommen
in solchen Blättcrn osi mitreißend zum Ausdruck. Wir weisen deshalb noch be-
sonders darauf hin und geben einige Proben aus Barlachs Drama „Der Findling"
und dem Gedicht „Der Kopf", von denen bei Paul Cassirer billige Bolksausgaben
eristieren (wie auch von seinen übrigen Jllustrationswerken). I. Pp.

Umschau

Hiiiweis alifErnsiBarlachsDramen

er Dichter Barlach ist leider den
Zeitgenossen weniger bekannt als der
Bildhauer und Graphiker. So sei hier
nur mit wenigen Worten auch auf die
Dichtungen hingewiesen, die wie die Holz-
plastiken dem gleichen Ursprung, der glei-
chen Gewalt und hell-dunklen Jnspira-
tion entspringen. Aus allen seinen Dra-
men, die vielleicht zutresfender dramatische
Visionen oder Traumgesichte genannt
werden könnten, spricht eine norddeutsche
protestantischc Mystik und Jnnerlichkeit,
eine schwermütig-erdgebundene, daS Zwi-
schen und spukhaft Hintergründige immer
erneut aus gläubiger Ekstase aufspürende
und bannende Seele. Alles, waS Bar-
lach in seinen Dichtungen geschaffen hat,
bezeugt ein gegenüber der bloß zivilisato-
rischen Epoche erschütterndes Ringen und
Wissen um daS Geheimnis alles Kreatür-
lichen, seiner Hinfälligkeit und Opferung,
seineS SehnenS nach Erlösung inmitten
Verwesung und Verderbnis. Dies ist sein
eigentliches Thema, wie es etwa im
„Findling" anklingt bei den Worten des
„Murmelnden":

Heil', Herz, und hoff,

Das Wort ward Stoff,

Und zur Gestalt erblühte seine Lichtgewalt,
Fort mit dem Wort vom Menschenfraß.

Sein Ziel und Wollen als Dichter ist
das gleiche, wie als Gestalter: mit allen
Bildern und Worten hinauS- und hinauf-
zuweisen auf ein über uns Liegendes. Da
er den Grund der Existenz zu schauen
sucht, sieht er auch den ungeheuren Ab-
grund allen Daseins und das erschütterte
Herz bleibt doch fest. Nur langsam öff-
nen sich die ihrer Sprache und Gestalt
nach dunklen und schwierigen Dramen
dem offen Lauschenden nnd Schauenden.

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Jhre Wirkung, einmal begonnen, gräbt
sich aber tiefer und tiefer, bis in jene
Tiefe, in der auch unser Jch aufgestört
wird und — daü ist das Entscheidende —
das reale Du des Anderen, des Menschcn
wie auch des „Ganz Anderen" anzurusen
sich erhebt.

Daß seine Dramen, die im Verlag Paul
Cassirer, Berlin, erschienen sind, nicht
im eigentlichen Sinne Dramen, sondern
Bilder, innere Gesichte sind, sagte ich
schon. Wer um dcn tiefen Zusammen-
hang von Dichtung und Schauung wciß,
erlebt gerade in Barlach die wesenhafte
Erfüllung desscn, was mit dcm Akt des
Sagens und GcstaltenS, der Poesie eigent-
lich gemeint ist. Hier ist noch zu bemer-
ken, daß durch alle Dramen, von den
frühesten: „Der tote Tag" und „Der
arme Vetter" bis zu den lehten, sinner-
fülltesten: „Der blaue Boll", „Die Sünd-
flut" und „Die gute Zcit", ein Zug
ahnungsschweren und derben Humors (im
echten, religiösen Sinne des WorteS) geht,
welcher der an sich zum Rätselhaften,
Visionären geneigten wie nüchternen und
erdgebundenen Sprache eine eigeutümlich
kräftige Belebung und Durchblutung gibt.
Barlachs bäucrliche Natur, seine Ver-
wurzelung in einfacher Landschaft mit ein-
fachen Menschen, Formen und Dingen,
seine unbedingt anti-intellektuelle, schlichte
und nur vom Jnnen und Verborgenen
lebende Daseinsweise prägen sich in allen
seinen Dichtungsbildern aus. Das Zen-
trum und der innerste Kern ist darum
um so glühender, größer, liebender und
bricht in erschütternden Ekstasen immer
wieder und immer neu durch alles Gc-
schaffene hindurch. — Dieser nur kurze
Hinwcis auch auf den Dichter Barlach
sei zuglcich ein Gruß an den Menschen,
einen unserer deutschesten Menschen der
Gegenwart. Bernhard Rang
 
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