Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1929)
DOI Artikel:
Tolstoj, Aleksej N.: Die Verfluchung: Erzählung
DOI Artikel:
Werfel, Franz: Neue erzählende Prosa: Barbara oder die Frömmigkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0214

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sie!" Escher fiel hin, mit dem 2lrm sich schützend; Dsheta wandke sich rasch
ab, bemühk, die Stricke zu sprengen; hinter der Ecke hervor kroch der alte Fürst
und verneigte sich vor dem Wächter, der sich zu sürchten schien, die entgleitende
Escher zu ergreifen, und sie, durch den Großvatcr gedeckt, sprang auf und slog
aus allen Krästen mit wehenden Zöpsen über den Hang hin zum Fluß. Nur
cin Psiss scholl hinter ihr drein und sie brachen auf, den Gefangenen mit sich
sührend; vergebens bat cher alte Fürst um die Freilassung Dshetas. „Schon
recht, schweig, sonst fassen wir auch dich", entgegnetcn sie ihm.

„Nehmk auch mich", schrie der Fürst, mit dem Stock drohend.

Sie sührten Dsheta einen anderen Weg, den Skrom entlang durch die
Schlucht; als sie den Felsen umgangen hatten, der das Tal verdeckte, befahl
Schischko den Wächtern, ein wcnig zurückzubleibeu, und fragke lustig, zu Dsheta
gewandt:

„Willst du fliehen, so gib Geld!"

Dsheka benetzke die Lrockenen Lippen und slüsterte: „Hssne den Rock, in der
linken Tasche."

„So ist's recht!" zwinkcrte Schischko; er löste Dshetas Hände, fuhr sich nach
dcm Rücken, setzte sich ächzend aus einen Stein und murmelte „slich!"

Dsheta maß raschen Blickes dcn Weg bis zur Biegung um den nächsten Fel-
scn und lief auf den Zehenspitzen im Zickzack dahin. Und als er beinahe die
Biegung erreicht hatte, brüllte Schischko hinter ihm: „He, schießt, er cnt-
wischk!"

Dsheta fühlke, daß er niemals diese sünf Schritte tun könne; so wie ini Traum,
die Knice heben sich nichk, er sireckte die Hände aus, ward ganz schwach, und
klatschend zwischcn den Schulkerblättern brannte die Kugel; dann seufzke er
aus, siel zur Seite und rollte über den Abhang zum Fluß.

Über ihm auf dem Felscn aber siand Escher und blickte hinab... als Dsheta
fiel, glitk sie einen Zwcig sassend hinker ihm her, hinab, nach Vorsprüngen und
Steinen greifend; ans der Straße packke man sie, sie biß in die Hände und
riß sich los und sprang vom zweiten Abhang iu das Wasser; doch die Stelle
war hoch, Escher fiel auf moosige Steine, die Wellcn ergriffen nnd trugen sie
wirbelnd fork und noch einmal hob sich aus dcm Strom ihr kleines zerquältes
Gesichk mit dem geöffneken Mund... So ging Escher zugrunde und ausge-
siorben war das Geschlecht der Fürsien Antschabadse, die sich cinsi aufge-
lehnt hatten wider das weise Gesetz.

N'eue erzählende Prosa

Franz Werfel / Barbara oder dic Frömmigkeit

^^iranz Werfel befchreibt in den vier „Lebenöfragmenten" dieses Bnches (Zsolnay-
Lerlag) das Leben eineS Menfchen, dessen Kindheit und Knabenjahre in die Zeiten
des öfterreichifchen Beamten- und Militärsiaates vor dem Kriege fallen; als Jüng-
ling rückt dieser Ferdinand später in das Feld, und den Begebenheiten dieser Epvche isi
ein mächtiger Raum in der Aufteilung des gewaltigen Stoffes gegönnt. Die Revo-
lution erlebt er dann halb beteiligt, halb unbeteiligt als Fahnenflüchtiger in Wicn;
mit ihrem Verebben endigt das Buch da, tvo es angefangen hat, bei der Erfcheinung
eines klar und ruhig gewordenen, im Jnnersten nicht mehr zu verwandelnden Man-
nes, der im schönen Gleichnis einer Gebärde eine heilige Schuld löscht.

i8ff
 
Annotationen