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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI issue:
Heft 4 (Januar 1930)
DOI article:
Martin, Kurt: Charles Despiau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0260

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Oberfläche sciner Werke. Bourdelle wurde zum Plastrker der Monumcnte,
Despiau der Meister des Porträks. Allerdings: dieses PorLräL ist nicht Kopie
äußerer Wirklichkeit, sondern aus dem Wirklichen empfangene Gestalkung
allgemeineren Lebens, Lieferer NoLwendigkeiL. Despiaus Werke haben des-
halb alle eLwas EndgülLiges. llnd noch cines: dieses PorLräL bestehk nichk nnr
im Bildnis, das zahlenmäßig in der Reihe der Arbeiken überwiegen mag,
auch der Körper ist in diesem Sinne Porkräk, enchobene Formulierung und
doch ci'gentümli'ch nah und belebk wie die Rkatur selbst.

N^aLurhafLigkeiL und EndgülLi'gkei't verlangen gefchlossene Form, Klarheik und
N'oLwendigkciL des Kleinsten, SelbstverständlichkeiL des Ganzen. Lllles Au-
fällige, jeder Reiz des llnbestimmkcn widersprichk dieser Halkung, die aus
ihrem Wescn heraus klassifch ist. Die Weike des Gehobenen, das Räksel des
Bestimmten, nichk mehr Willkürlichen sind der Horizont dieser Kunst. Es ist
ekwas von griechifcher Klassik, von antiker Gehalkenhei'k, und jcder wird sagen,
daß dieses Griechenlaiid auf Despiau gewirkt habe. Doch darauf gerade kommt
es nichk an.

Despiaus Anfänge lagen in der Gebärde, in der Bewegkheik, im Wellenfchlag
der Oberfläche, die er von Rodin übernahm. Dann erst wird diese Bewegung
nach innen gelegk, unker der Oberfläche empfunden, bis fchließlich Werke
enkstehen, die so selbstverständlich sind, als seien sie nie berührk worden, als
stünden sie unter ihrer eigenen Akmosphäre. Diese Akmosphäre nun ist ungrie-
chifch, wic sie modern ist, und der Anklang der Form, vielleichk sogar die
Tatsache freiester Llnlehnung ist nur wie ein WorL, dessen Gehalk und Sinn
von der Zeik vcrwandelk wurde. Denn die körpcrhafte GegenständlichkeiL frü-
her Bewegung, die einfache, fast konkrete Größe, jenes greifbar Plastifche der
Borgängc hak sich gespalten und i'n verfeinerte Schwingungen gelöst, hak sich
psychologifch durchseHL, bis das einfache Große obdachlos wurde und ungreifbar
und nur noch als Vergangenheik, als Sage, als Zeichen zurückblieb in unge-
duldiger und nervöser Zeit. Despiaus Tak ist es, daß er das Stück Klarheik
verstehk und heraushebk, das in uns lebk, daß er diese Gegenwart des Klassi-
fchcn aus dem Menfchen unserer Zeik gestalkek. Man hat den Eindruck, daß
Despiau uüL jedcm Modcll neu beginnk, um cs auf dem Wege der Llrbeik
wieder zu aufängllchcm Leben zu führen. Das ist der Sinn jener Bcwegun-
gen uud Spannungcn, dic wic Zartheik durch die Oberfläche zu fchimmern
fchei'uen; das ist das Gcheimnis der Geistigkel'L und Nuhe, zu der sich Des-
piaus Wcrke abklärcn, das Geheimnis eines großen und reinen Berkrauens.
Despiau erfüllk damik eine Znkenkion unserer Zeik.

Despiau stehk nichk alleiu in dieser Richsting, die man gern mik dem berühm-
. kereu Niamen Maillols verbindek. Taksächlich wachsen beide auf gleichem

künstlerifchem Boden, Maillol fchwcrer und erdhafker, Despiau eindrück-
licher im Sichkbaren dcs Geistigen. 2luch Picasso kennk diese klassifche Hal-
Lung, diese Sehnsuchk nach der erfüllten, gefchlossenen und bclebten Form.
Schlicßlich ist jene Beweguug, die man modcrnc Sachlichkeik genannk hat,
aus ähnlichcm Wollen enkstanden, tradi'Lionsferner und unbelebker in den
Mi'kkeln des Jlusdrucks, je mehr sie sich dem Schematifchen und Mechani-
sierken näherk.

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