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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1929)
DOI Artikel:
Buchheit, Gert: Über den Totentanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0106

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ker NÄchLzerL, meist zur MiLLernachtssiunde, auf dem Friedhof und ziehen
Neugierige oder unachtsame Menschen unerbittlich nn'L sich hinab ins Grab.
Auf deuLschem Boden LreLen diese alten, schwer nachzuweisenden Anschau-
ungen alt-arischen ToLenkultes in zwei Formen auf. Die eine sprichL vom
einfachen Nachziehen der Toten. Die andere Fassung läßk die ToLen nach-
zehren und gibt sich durch diesen Zug als Vampyrismus zu erkennen. Durch
die christliche Lehre vom Fegseuer und von der Aufersiehung des Fleisches,
durch das Vorkommen des Scheintodes und durch die Wundererzählungen der
Bibel wurde das Volk in diesem Glauben bestärkt.

Trohdem kann sich der monumentale ToLenLanz aus dem mikternächt-
lichen Neigen der Token, aus dem undisziplinierken und groteskcn
Hüpfen der Skeletke, wie wir es in Schedels WelLchronik sehen, nichk un-
mittelbar entwickelt haben. Denn sowohl die Bilder, als auch die literarischcn
Zeugnisse des nächklichen KirchhofLanzes, die sich ausweisen lassen, wahren
durchaus den Charakter des RundLanzes, den entweder nur ToLe oder ToLe
und Lebende tanzen. LeHkere Lragen aber keine Namen noch irgendwelche
individualisierende Merkmale, wie sie die Menschen des Tokenkanzes aus-
weisen. Dieser grausige Reigen will nur kanzen. Auch der erbauliche Charak-
Ler, der unzweifelhafk zum Wesen des ToLenkanzes gehörk, haftet diesen Über-
lieferungen nicht an. Wir finden jedoch alle diese ElemenLe, den didaktisch-
religiösen Charakter und die Disferenzierung in Stände, bei einem anderen
ikonographischen llnikum, der sogcnannken „Legende von den drei Lebenden
und den drei Toten". Der KernpunkL dieser eigenarkigen Erzählung ist der
in der sepulkralen Sprache aller Kulturvölker steks wiederkehrende Warnungs-
rus der Toten an die Lebenden: „Was ihr seid, das waren wir, was wir
sind, das werdet ihr!"

2lus ihren bildlichen Dar-
stellungen z. B. auf dem
grandiosen Gemälde im
Camposanko zu Pisa rei-
Len drei vornehme Reiter
in den Wald zur Jagd.

Dort stoßen sie auf drei
Tote, die ihnen die Ber-
gänglichkeiL alles Irdi-
schen ins Gedächknis ru-
fen. Stärker jedoch als in
dieser alten, bereits im
Orienk nachgewiesencn Le-
gende, läßt sich das Mo-
Liv der Ständesatire und
der dialogische Charakter,
die beide zum Wesen der
miLLelalterlichen Token-
Länze gehören, in den Va-
domori-Gedichten nachwci-
sen, die seik dem iz. Iahr-

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