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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 2 (Novemberheft 1929)
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Gogarten, Friedrich: Glaube und Wirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0140

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Weise gelösi werden, daß diese Ideale und Wahrheiken für alle verbindlich
gcmachk werden, daß alle ihre GültigkeiL anerkennen, daß alle an sie glanben.
Man nimmk hier seinen Ausgang für die Lösung des Problems der Wirk-
lichkeit bei dem als ein selbßändiges Wesen verslandenen Menfchen. Das
aber heißk bei dem abfkrakten, gar nichk wirklichen Menfchen. Denn der wirk-
liche Menfch, das ift nichk der, der mik sich allein isi und der sich aus sich
selbsi versiehen kann, sondern der wirkliche Menfch, das isi der, der unlös-
lich mik dem andern verbunden isi und der in seiner ganzen, nichk nur äußeren,
sondern ebenso in seiner ganzen inneren Existenz durch die anderen bestimmk
isi, und der sich als wirklichen Menfchen nur versiünde, wenn er sich in seiner
unlöslichen Bindung an den anderen versiünde. In seiner Beziehung zur
Wirklichkeit, als der in der Wirklichkeit lebende Menfch, ist man nichk der,
der sein GeseH in sich selbst trägk und der selbständig isi und der sich aus sich
selbsi, aus einer letzten, tiefen SelbsigenügsamkeiL erkennen kann. Sondern
hier walkek ein ganz anderes Gesetz übcr dem Menfchen. Und das feinste
siktliche Gesetz, das für den für sich, üi SelbstgenügsamkeiL lebenden Men-
fchen gelten mag, das gilk nie und nimmer für den wirklichen, den in der
wirklichen Welk lebenden Menfchen. Das Gesetz, das für den wirklichen
Menfchen gilk, das isi von außen her anf ihn gelegk. Freilich nicht aus den
bloßen Tatsachen, wie sie aus der GesetzlichkeiL von Ursache und Wirkung
begrisien werden, sondern aus der Lebenswelk des Menfchen, in die diese
Tatsachen eingeordnek sind. Wenn man von den so versiandenen Taksachen
meint, daß in ihrem Neich der Glaube an ewige Wahrheiken ein kleines und
absurdes Schauspiel in einzelnen Menfchenköpfen sei, und wenn dabei an
die ewigen Wahrheiten gedachk isi, wie sie der einzelne Menfch für sich selbst,
für sein losgelösies, selbsiändiges, privakes und persönliches Dasein findek,
dann wird man allerdings sagen müssen, daß das richkig isi.

Denn das isi in der Tak das große Mißversiändnis, dem man heuke in
bezug auf den Glauben verfallen ist, daß man meint, der Glaube bezöge sich
auf solche Wahrheiten und Ideale, die der Menfch in der Besimumg auf
sich als auf ein selbsiändiges, aus sich selbst zu versiehendes Wesen gewinnt.
Und daß man weiker meint, das Verhälknis des Glaubens zur WirklichkeiL
besiünde darin, daß nach diesen Wahrheiten und Idealen das wirkliche Leben
des Menfchen gesialtek werden solle. Wenn ein Menfch nach diesen Idealen
und Wahrheiten sein Leben gesialken wollke, dann müßte er sich von dem
wirklichen Leben von Grund auf abwenden. Und was er auf diese Weise
täte, das wäre, auch wenn es noch so ernsi und heroifch wäre, für das wirk-
liche Leben unfruchtbar. Ein vielleicht sehr auffälliges, aber sinnloses Schau-
spiel. Ilnd wenn man das Fesihalten an solchen Idealen oder Wahrheiken
Glauben nennk, dann hat dieser Glaube allerdings mit der Wirklichkeit nichts
zu kun. Und wo ein solcher Glaube isi, da wird man andererseits die soge-
nannten bloßen Tatsachen für die Wirklichkeit halten müssen. Und da wird
dann das verhängnisvolle Auseinanderbrechen des Lebens der Menfchen in
zwei gar nicht mehr miteinander zu vereinigende Teile, wie es heuke der Fall
ist, die Folge sein.

Wenn aber der Glaube nicht eine solche Überzeugung von dcr Gültigkeit
ewiger Wahrheiten und Ideale für das menfchlichc Leben isi, was ist er dann
 
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