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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1929)
DOI Artikel:
André, Hans: Vom Wesen und Gegenwartswert christlich-mittelalterlicher und Goethescher Naturanschauung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0186

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Sehr an der Oberfläche bleibt AugusLmus aber ofk dork fiehen, wo er die
RechLferLigung des NäLurübels versuchL und z. B. sagk, daß das fcheinbar
Häßliche um der KonLraslwirkung willen seine Berechkigung hak, wie Schakten
in einem Gemälde. Hier wird er ofk zum flachen NakionalifLen, und uur, wo
er in der Bekrachtung des Sechstagewerkes das so furchkbare Schausgiel der
wilden Lierifchen Nätur und den Kampf der ElemenLe als symbolifche Hin-
deukung auf die Geheimnisse des Kommenden, auf das Hcll-Dunkel der
MenfchheiksgefchichLe und ihre Lragifchen KakafLrophen deukek, fchließk er
Nakur- und Gnadenordnung zu einem dramakifchen Gesamtbild zusammen, in
dessen Hinkergrund das Numinöse in der WelL, die Unbegreiflich-
keiken Gokkes, slehen. Bezeichnend ifL auch, daß in AugufLins Nakur-
erklärung, in der die Nakur nichk weniger lebendiger GeifLesausdruck ifL, als die
menfchliche Kulkur, geifLige Wirker in der GefLalk der Engel eine große
Rolle spielen. Diese Auffassung lebke auch in der chrifLlich-miLLelalkerlichen
NaLuranfchauung noch lebendig weiker. Wohl ftehen in der Hochfcholaftik
die der NaLur innewohnenden Gestalkungsursachen, die arifLokelifchen Formen,
im Bordergrund. 2lber die dem Skoffe mikgeLeilken Formen werden zunächst
auf die Ideen im Engelgeisle zurückgeführL, derark, daß die Engel durch dio
Himmelskörper die NaLurdinge zu den enksprechenden Formen hinbewegen. Zu-
leHL aber verdanken die Formen ihre EnLftehung den „Archctypalgedanken" Got-
tes, von denen die „Anfänge" und gleichsam die „Samen" dazu kommen.

Was in Augustins Nakuranfchauung grundgelegk war, das bildeke das
MiLLelalLer in vieler HinsichL geifteskräftig weiter. Der Gedanke, daß jede
KrcaLur, wcil sie aus GoLL slammk, auch eine Spur GoLLes, eine, wenn auch
noch so enkfernLe ÄhnlichkeiL mik ihm, eine sirnilltnclo des GökL-
lichen haben muß, durchziehk die ganze miLLelalkerlich-chriftliche NaLur-
ausfassung. Die similitncko erftreckk sich auf alles posiLive Sein bis herab zu
den sinnlichen QualiLäLen. Wohlklang und DufL, Zarkheit und Wohlge-
fchmack, „all das, mein GokL," sagL Anselm von Canterbury, „be-
siHeft du auf eine unaussprechliche Weise; den gefchaffenen Dingen jcdoch haff
du gegeben, all dies auf eine sinnenhafke Weise zu besitzen". Neben der
8imiIitucko LriLL dann freilich auch die cki^similitucko, die Unähnlichkei'L, ja die
Verkehrung der ursprünglich guken Nakur bis zum Zerrbild des GöLklichen
hewor. In der Natur, die an sich unfchuldig iff, iff das Zerrbild nur rein
repräsentativ, wie die Figur in einem Schauspiel, zu nehmen. Es ist
nur eine Hindeutung auf Dämonifches und eher ein Warnungssignal vor dem
Reich des SaLans als ein Einbruch dieses Reiches selbft. Denn in der Na-
Lur ist das Berderbliche und Verführerifche irgendwie „gezeichnet" oder we-
nigffens in seiner Wirkung unmiLLelbar erkennbar. Man hätke die Nakur
niemals als eine gute Lehrmeifferin bezeichnen können, wenn so ekwas wie
SympLome des Lügengeiffes selber in ihr zu finden wären. In dieser Hinsichk
war auch das Berhälknis des MikLelalkers zur NaLur ein durchaus gesund-
opLimiffifches. Zwifchen Menfch und Natur beffehk nach miLLelalterlicher
Auffassung eine Liefe Wesens r e laki o n, eine Entsprechung, die m'chL
nur eine rein biologifche Beziehung, sondern auch eine Lief charakterolo-
gische BezogenheiL beider aufeinander umfaßk. „Als der Menfch ge-
fchaffen wurde," sagk Hildegard von Bingen, „ward Erde von der Erde ge-
 
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