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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 3 (Dezemberheft 1929)
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Ein paar Ratschläge für "unzeitgemäße Leser"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0225

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rückt. Der Berlag E. Rentsch, Erlenbach-Zürich, hat niit nichts gespart, um endlich
einein der größten epischen Genien des deutschen Schrifttums das gebührende Denk-
mal zu setzen. — An neuen E i ch e n d o r f f ausgaben haben ivir gleich zwei zu
verzeichnen. Die eine (Bibl. Jnstitut) mußte mit zwei Bänden freilich sehr knapp
ausfallen. Dafür entschädigt eine gute Auswahl und die Vermeidung aller Wie-
derholungen, sowie die auSgezeichnete Einleitung Grolmans, mit der ich zwar nicht
überall einverstanden bin, die es aber mit Glück unternimmt, unserer dem Dichter
entfremdeten Zeit diesen nur von ganz Wenigen voll gewürdigken Geist nahezu-
bringen. Die dreibändige Tempelausgabe bedarf keines Lobes. JuliuS Zeitler be-
schränkt sich in seinem Nachwort auf das Biographische. Nur läßt er — bei aller
anerkennenswerten Selbstbeschränkung — m. E. den Dichter zu kurz kommen.
Wenn einer mit dem Dolk der Dichter und Denker zu prahlen anfängt, sollte ihm
sanft entgegengehalten werden, daß es mit der Erschließung ganzer Epochen des
deutschen Schrifttums im argen liegt. DaS gilt auch von der Roinantik, obwohl
wir gerade darüber eine ganze Flut von Geschriebenein haben. Vor allem fehlt es an
der ersten Doraussetzung für eine wirkliche Einarbeitung in das lebendige Bewußtsein
und Gedächtnis der Nation: an guten, zulänglichen Text-Ausgaben. Die histo-
risch-kritische AuSgabe E. Th. A. Hoffmanns ist bis heute nicht vollendet. Die
Brentanos scheint endgültig stecken geblieben zu sein. Tieck ist nicht mehr aufzu-
treiben, und von den eigentlichen Häuptern der Bewegung, August nnd Friedrich
Schlegel, gibt es seit einem Jahrhundert keine einigermaßen ausreichende Sammlung
ihrer wichtigsten Schriften. Nur Novalis ist uns dank Heilborn und Minor
erschlossen worden. Nichts kam überraschender als die neue vierbändige (außer-
ordentlich preiswerte) Ausgabe seiner Werke, die Paul Kluckhohn im Bibliographi-
schen Jnstitut veranstaltet hat. Die AuSgabe ist gegenüber allen früheren stark ver-
mehrt, neu aufgenommen ist eine Anzahl Fragmente, eine Reihe von Tagebüchern
und sonstige Anfzeichnungen des Dichters, und dankenöwerterweise 2'lußerungen von
Zeitgenossen über ihn. ÜberdieS ist eine gründliche Neuordnung durchgeführt. Jch
kann allen Freunden der Romantik nur dringend raten, sich diese Ausgabe anzu-
schaffen, die nunmehr als die maßgebende zu gelten hat.

Schließen wir, wie billig, diese llbersicht mit Goethe, so sei vorab ein Wort ein-
gelegt für ein ganz unscheinbareS Bändchen, das für eine halbe Mark bei der
Weltgeistbücherei zu haben ist nnd das I. Hofmiller zusammengestellt hat. Es ist
eine Auswahl von AuSsprüchen Goethes, die im Gegensatz zu ähnlichen Publikationen
völlig unliterarisch ist, also eine Art Lebensbrevier gibt und bei aller Bescheidenheit
ein „Kapital, daö geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet". Ein entzückendes Bänd-
chen ist der Goethe-Kalender für das Jahr igzo (herausgegeben vom Frank-
furter Goethemuseum), bei Dietrich, Leipzig, verlegt. Von Jakob Hegner muster-
gültig gedruckt und mit Bildchen aus der Goethewelt durchschossen, ist das Bändchen
schon um der Ausstattung willen anschaffenswert. Wer die „Geschichte meines bota-
nischen Studiums", die in den meisten AuSgaben fehlt, noch nicht besitzt, versäume
die Gelegenheit nicht, sie hier zu erwerben.

Zum Schluß: der Dünndruckband des Jnsel-Verlags „GoetheS Gespräche"
(ohne die Gespräche mit Eckermann), auSgewählt von F. von Biedermann, der die
Ausgabe der Werke und der Briefe und Tagebücher rundet und abschließt. Be-
sonderS dankenswert das sorgfältige Personen-, Orts- und Sachregister. Es zeigt
sich von neuem: wer ihn zu besitzen glaubt, der schlage an beliebiger Stelle auf,
um sich zu überzeugen, wie lange es noch dauern wird, bis sich die deutsche Kultur
diesen Kosmos erschlossen hat. R.
 
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