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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 4 (Januar 1930)
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Michel, Wilhelm: Symbol und Ornament: neue Aufschlüsse über ihr Wesen durch eine Rauschgiftwirkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0268

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zogenhert und Verbundenheit, er i st em ästhekisches Faktum, er i st Rappork
und Reim, er ist Widerklang und Zusammcnklang, er i st Ornamenk. Orna-
mentfreude ist das Sich-Erkennen des archaischen Menschen im rhykhmisch
gefügken Gebilde. Kein Wundcr, daß der heukige, so weikgehcnd auf das Jch
gestellke Mensch sich nichk mchr im Ornamenk crkcnnk. Er i st nichk mehr
Ornamenk, er ist jedenfalls nichk mehr gänzlich Ornamcnk. Er lebk vor-
nehmlich auö denjenigen Bestandkeilen seiner PersönlichkeiL, die der unkeren
Vcrwobenheik enkrückt sind. Und er erfährk — wir wisfen das ja alle —, daß
mik dem Herauskrekcn des Menschen aus dseser unkeren Verwobenheik das
Ornamenk immer dünner, immcr sinnlecrcr wird, bis es schließlich als eine
ärgerliche Verunreinigung empfundcn und bekriegt wird. Das Zurückkreken
dcs Ornamenks, wie wir es im Abcndland verfolgcn können, enksprichk genau
der immer weiker vorschreikenden Intcgrakion des abendländischen Ichs.

Im Meskalinrausch abcr trikk der Mensch wieder an den Punkt, wo Orna-
menk hervorgcbrachk, wo es geliebk, geehrk und verstanden wird, weil es den
Menschen und seine Welk darstellt. Die Beziehung des Meskalinmcnschen
zum Ornamcnt ist nichk das, was wir eine ästhekische Beziehung nennen,
wcnn sie auch vielfach von starken ästhekischcn Lustgefühlen bcgleiLet ist. Die
ästhekische Lust ist da Ausfluß eincr realcn magischen Beziehung, sie ist
Ausfluß und Ausdruck ciner S e i n s beziehung, nichk eines abständlichen, be-
trachkenden Verhaltens. Wcnn im Meskalinrausch alle Msioncn von Orna-
menk durchzogen sind, so deshalb, weil das Ornamenk das Eigenkliche und
Wirklichc ist, weil es der kosmisch cingefügke Mensch selbst ist.
„Alles wird Kristall, alles wird Ornamenk", sagk eine der Heidelberger Ver-
suchspersonen. Und sie sagt damik: alles fügk sich, alles rhykhmisierk sich, weil
der schendc Mensch selbst eingefügk und rhykhmisierk ist. Fassen wir ins
Auge, daß — wie eine der Versuchspersonen gesagk hak — man sich zwar
im Meskalinrausch keine Menschengestalk vorstellen kann, daß aber alles
Sehen mik Ornamcnk durchwachsen ist. „Es brauchk kcine Menschen zu
geben", sagk die bckreffcnde Versuchsperson; und wir sehen jetzk, warum: weil
der Mensch im Ornamenk schon gegeben ist, weil da das Wesenkliche vom
Mcnschcn, der erlebke magische Zusammcnhang, schon hinlänglich ausgespro-
chen ist. Siehk man bei manchen indianischen, besonders altmerikaiiischen Bild-
werken die Menschenfigur vielfach in grotesker Weise ornamenkal werden, so
daß sie wie in einen dickcn ornamenkalen Teig hineingebacken crscheink nnd kaum
noch in der Masscnverkeilung ekwas von Menschengestalk zu erkennen ist, so ist
das nichk Zukat oder Überfluß, sondern es heißk: der Begrijf der für sich be-
stehendcn, „nakurgetreuen" Menschengestalk hak für diese Skufe keincn Sinn,
weil auf dieser Skufe gerade die Einbekkung des Mcnschen ins magische
Ganzc das Wichkige, das Enkscheidcnde ist. Die sogenannke naturgekreue Men-
schengestalt wäre für dicse Skufe eine unsinnige Abstrakkion, ähnlich wie es
zurzeik des frühen Impressionismus cine unsinnige Abstraktion gcwesen wärc,
eine Gestalk ohne Lufk oder ohne die geläufige Perspcktive zn malen. >W i r kcn-
nen heuke das Ornamcnt scit gcraumcr Zeik nur als „Schmuck", als ein un-
vcrstandenes ästhckisches Ekwas, das die eigenkliche „Sache" zu dekorieren hak.
Im Mcskalinrausch sind wir wieder an die Skelle gesetzk, wo das Ornament
die Sachc selbst ist -— und nur von hier aus kann das Ornamenk in seinem
Wescn verstanden werden.
 
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