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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 5 (Februar 1930)
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Brües, Otto: Presse und Schrifttum
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0382

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aufzumachcn, man pflegt, vbzwar man ihn i'rrtümlich „Dichtung" ncnnt, einen
anständig geschriebenen Unterhaltungsroman und zieht zur Beurteilung von Buch,
Theater und Musik gut oder glänzend durchgebildete Kräfte heran. Abec indem
gute neben schlechten Arbeitcn erscheinen und indem im vermischten Teil über die
Pflicht der Berichterstattung hinauö jene Sensation gepflegt toird, die das „Kesse"
kraß und daS Furchtbare zum Schauslück macht, roerden die Maßstäbe des Lesers
völlig verlvüstet. Nicht der Wert einer eingereichten Novelle gibt den Ausschlag,
sondern die mutmaßliche Wirkung auf den Leser — tvoniit tvir tvieder bei der einen
Kardinalfrage angelangt wären.

Nun ist die Zeit ersreulicherweise vorüber, wo der Kollege „über dem Strich" etwa
dle Landwirtschaft als die Ernährerin des Staateö prieö, während der Kollege
„unterm Strich" mit den anarchisti'schen Kaffees liebäugelte; heute seht man den
Mitarbeiter vor die Tür, der nicht das Parteibuch der politischen Redaktion in der
Brieftasche und die Blume der partei'politischen Bewährung im Knopfloch hat. Das
frühere Derfahren war nicht gerade lotrecht; aber das heutige ist schief. Denn wie
cs im politischen Teil der Zeitimg heute „zum guten Ton" gehört, Gründe und
Bcweise des Gegners zu verschweigen, die Rede dcS eignen Abgeordneten aus-
führlich zu bringen und die der andern mit der NanienSnennung abzutun: so rechnet
man den Schriftsteller, ob er will oder nichk, zur eignen oder zu den andern Parteien.
Auch Dichter von hohem Rang werden politi'sch bewertet, und wenn sie einmal in
einem bekennerischen SchriftsaH zugeben, daß sie zu dieser oder jener Partei hin-
neigen als Staatsbürger, die sie wie die andern Menschen sind, so drehen ihnen
die Redakteure der anders gerichteten Blätter einen Strick daraus. Jn dem Zusarn-
menhang zwischen Schrifttum und Presse, von dem hier gehandelt wird, bedeutet
das so viel, daß auf diese Weise die beiöen nicht zusammenkommen. WenigstenS die
feineren und freieren Geister scheiden dann für die Zeitung auS. Sic entgehen so
grober Siebung. Sie nehmen das Schicksal auf sich, zwischen und neben den Lagern
zu stehen. Sie halten das „Rechts", „Mitte" und „Links" nicht mehr für wesent-
liche Richtungen. Da ist denn kein Platz mehr für sie, oder allenfalls ein Plätzchen,
wo es sich um einen Schmuck handelt, mit dem man prunken kann.

Gute Zeit und gute Zeitungen haben infolgedessen leider die wendigen Geister, deren
größtc Fähigkei't darin besteht, daß sie sich anpassen können. Es sind starke Talente
darunter, man möchtc sie nicht ganz missen; aber wie bald drohk ihnen der Augen-
blick, m dem ihr Talent stark gewesen ist, auSgesogen, von solcher Kunst, sich zu ver-
wandeln und ändern! Für den Redakteur sind sie bequem; kein Wunder, daß er sie
zu sich holt. Und auch die Leser diescr Blätker mit besserer oder guker Stoffwahl
sind damit zufrieden, nicht wahr, daß sie die Schriftsteller ihrer politischen Richtung
vorgeseht bekommen? Jnnner ist es der Leser, mit dem man eine fragwürdige
Pflege des Schrifttums entschuldigt.

Und dieser Leser? Man kann Menschen, Di'nge und Entwicklungen kurzsichtig und
weitsichtig betrachten. Jm Kopf eineS wissenschaftlich gebildeten WerbeleiterS, der
in Zählkunde und Seelenforschung arbeitet, malt sich die Leserschaft etwa so auS:
es gibt sture, bessere und gebildete Leser, der erste bekommt ein Boulevardblatt,
der zweite den Generalanzeiger, der dritte die große politische Zeitung. Nennt man
diese Schichtung wagerccht, so i'st in Wirklichkeit der Leser in der Senkrechten zu
suchen, oben, unten, in der Mitte, überall. Abcr auch wenn man von dieser gezwun-
gencn Anordnung absieht, wer will es bczweifeln, daß es heute mehr oberflächliche
als besinnliche Leser gibk, die zu bejahen ja so viel wie die Anerkennung minderwer-
tiger Zeitungen bedeuten würde: bleibt doch die Frage, ob man nachgeben soll
oder ni'cht. ! !

Wem die großen Worte in den Ohren nachklingen, die bei der „Pressa" in Köln
gesprochen wurden, der kann sich gar nicht vorstellen, daß dcutschc Journalisten nnd

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