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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0041

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Einleitung

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einzelnen ebenso umstritten wie die Frage, ob die zahlreichen verwandt-
schaftlichen Verflechtungen des Adels beider Reiche ausreichten, das Auf-
kommen eines abgegrenzten nationalen Eigenbewußtseins zu verhindern.
Das komplexe Zusammenwirken beider Faktoren im 13. Jahrhundert zeigt
das Beispiel Simons von Montfort: Zweiter Sohn eines normannischen Adli-
gen, der in der Auseinandersetzung Johann Ohnelands mit Philipp II. die
französische Seite gewählt hatte, durch seine Mutter aber auch Ansprüche auf
das englische nzrMom Leicester besaß, wuchs er in der Ile-de-France auf, ging
dann aber 1230 nach England, um das Erbe seiner Großmutter anzutreten. Er
wurde Vertrauter Heinrichs III. und heiratete dessen Schwester, behielt aber
weiterhin beste Beziehungen zum französischen Hof, wo sein Bruder
Amalrich als Erbe der französischen Lehen die Nachfolge ihres Vaters als
angetreten hatte". Seine französische Herkunft und Einbindung
hinderten ihn jedoch nicht daran, sich 1258 an die Spitze der baronialen Op-
position zu stellen und die Ausweisung aller »Ausländer« (aübgcm) zu for-
dern, da ihr Einfluß auf den König den Baronen des Landes die ihnen zuste-
hende Teilhabe an der Herrschaft nehme"'. Es stellt sich daher die Frage, ob,
in welcher Form und ab wann Konflikte in den englisch-französischen Bezie-
hungen auch durch Vorstellungen nationaler Abgrenzung auf geladen wur-
den.
Die mediaevistische Forschung zur Ethnogenese wanderungszeitlicher
Verbände, aber auch zur Herausbildung eines Nationsbewußtseins im Hoch-
und Spätmittelalter hat in den letzten Jahrzehnten deutlich gemacht, daß Völ-
ker und Nationen keine überzeitlichen, natürlich gegebenen Größen sind,
sondern im Zuge herrschaftlicher Formierung und Abgrenzung größerer po-
litischer Einheiten entstehen.
Nationsbewußtsein erwies sich in diesen Untersuchungen als keineswegs
spezifisch neuzeitliche Erscheinung. Als Ausdruck politischen Willens nach
Zusammengehörigkeit spielte es auch im Mittelalter eine wesentliche Rolle
bei der Integration von Großverbänden. Allerdings unterschied sich die mit-
telalterliche von der modernen Nation, wie sie in der Französischen Revoluti-
on entstand, wesentlich dadurch, daß sie auf spezifische Trägerschichten (ne-
ben Adel und Klerus im Spätmittelalter auch die hofnahen Juristen) be-
schränkt blieb. Die Vorstellung eines »massenhaft verbreiteten Nationalbe-
wußtseins« war dem Mittelalter fremd. In den Quellen sind zwar Ansätze

Norman, in: Anglo-Norman Anniversary Essays, hg. v. Ian Short (Anglo-Norman Text So-
ciety. Occasional publications series 2), London 1993, S. 309-326; L. A. LODGE, Language At-
titudes and Linguistic Norms in France and England in the Thirteenth Century, in: Thir-
teenth Century England 4 (1992), S. 73-83.
61 John Robert MADDtCOTT, Simon de Monttort, Cambridge 1994, v.a. S. 1-29, 187, 190, 198 f.
und 205.
62 David A. CARPENTER, King Henry IITs 'Statute' against Aliens, July 1263, in: English Histori-
cal Review 107 (1992), S. 926-944; H. W. RiDGEWAY, Foreign Favourites and Henry IH's Pro-
blems of Patronage, 1247-1258, in: English Historical Review 104 (1989), S. 590-610; H. W.
RiDGEWAY, King Henry III and the 'Aliens', 1236-1272, in: Thirteenth Century England 2
(1988), S. 81-92.
 
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