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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0078

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74

Kapitel II

Ersten Kreuzzug aufbrach, übernahm Wilhelm Rufus schließlich die gesamte
Normandie als Pfandbesitz.

1. c. Wilhelm II. Rufus und das französische Königtum
Eine entscheidende Weichenstellung für die weitere Entwicklung des anglo-
normannischen Herrschaftskomplexes war die Tatsache, daß Wilhelm II. Ru-
fus bis zu seinem Tod unverheiratet blieb. Daß er noch keine Ehe eingegan-
gen war, als er 1087 im Alter von etwas mehr als 27 Jahren^ König wurde, ist
nicht ungewöhnlich. Erklärungsbedürftig ist dagegen, daß er auch in den fol-
genden dreizehn Jahren nicht heiratete.
In der älteren Forschung wurde dies auf den verantwortungslosen, jeder
Bindung abgeneigten Charakter Wilhelms zurückgeführt. Hinweise auf effe-
miniertes Verhalten und verbreitete sodowm an seinem Hof bei Eadmer und

Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Mero-
winger- und Karolingerzeit (MGH Schriften 44), Hannover 1997, S. 52 und 379, Arun. 2;
Yitzhak HEN, Culture and Religion in Merovingian Gaul, A.D. 481-751 (Cultures, Beliefs and
Traditions 1), Leiden 1995, S. 122-137, insb. S. 124 f.; Carlrichard BRÜHL, Deutschland -
Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln *1995, S. 372 f. Erst im Verlauf der späteren Ka-
rolingerzeit setzte sich hier das kirchliche Monogamiegebot und die daraus folgende rechtli-
che Abschichtung der unehlichen Kinder allmählich durch.
In der Mitte des 11. Jahrhunderts war die Offenheit der Erbfolge für Nachkommen aus
nicht-ehelichen Verbindungen in der Normandie allerdings bereits ein Sonderfall im fränki-
schen Umfeld. Bereits Radulfus Glaber (t 1046) erschien diese Praxis bemerkenswert (und
nur durch den Verweis auf das alttestamentliche Beispiel Jakobs entschuldbar): FtzE enz'zzz
zzszz; a prz'zrzo aEuenfzz z'psz'zzs genh's in GzzEzzzs ... ex /zzzzzzsirzoEz cozrczzfzz'zzzzrzzzzz cozzzzwz'xEozzc z'Eorzzzzz
pn'rzcz'pes exb'h'sse; Rodulfus Glaber, Historiae (OMT; ed. France), S. 204.
Einen indirekten Beleg bietet auch eine Anekdote, die Ordericus Vitalis um 1110 in seine
Fassung der »Gesta Normannorum Ducum« einfügte: Bei der Belagerung von Alengon
1051/52 hätten die Verteidiger der Stadt den Herzog verspottet, indem sie auf Häute (peEes)
und Felle (rczzones) schlugen und ihn verächtlich einen peEzczarztzs (Gerber oder Pelzhändler)
nannten, weil die pazrzües (Eltern oder Verwandten) seiner Mutter poENHores (Leichenein-
balsamierer) waren; Gesta Normannorum Ducum (OMT; ed. van Houts), Bd. 2, S. 124; vgl.
STRICKLAND 1996, S. 161. Die Anekdote ist in ihrem Wortlaut schwer verständlich, da peEz'cz-
an'tzs als Berufsbezeichnung eindeutig einen Gerber, Kürschner oder Pelzhändler meint, poi-
Enctor dagegen einen Einbalsamierer, d.h. die Person, die das Herrichten, Einbalsamieren
und Aufbahren Verstorbener übernahm. Zurecht betont Elisabeth M. C. van HOUTS, The
Origins of Herleva, Mother of William the Conqueror, in: English Historical Review 101
(1986), S. 399-404, daß die Verwandten Wilhelms, von denen hier die Rede ist, von Orderi-
cus Vitalis als poEzzzcfores bezeichnet werden, wir also - wenn überhaupt - diesen Beruf für
die Familie Herlevas annehmen müssen, dagegen pcEz'cz'arz'zzs nur in übertragener Bedeutung
auf Wilhelm selbst bezogen ist. Nicht überzeugend ist allerdings van Houts Überlegung, das
terfz'MZZi coTnparahofzzs habe darin bestanden, daß Einbalsamierer wie Gerber die Haut ver-
storbener Lebewesen bearbeiten. Es ist vielmehr zu vermuten, daß ein Wortspiel vorliegt
(peEz'cz'zzrz'zzs = Gerber / pcEz'czzrc = Beischlaf mit einer Konkubine ausüben; schon im klassi-
schen Latein bedeutete pcEz'czEa - wie auch scorftzzzz - sowohl »Fell« als auch metonymisch
»Hure«). Indem sie ihn durch das Klopfen von Häuten und Fellen als Sohn einer Konkubine
bezeichneten, spielten die Verteidiger von Alenqon nach Ordericus Vitalis darauf an, daß
seine Mutter so niedriger Herkunft war, daß eine Ehe mit dem Herzog nicht infrage kam.
64 Über das Geburtsjahr Wilhelms II. Rufus »kurz vor 1060« macht nur Wilhelm von Malmsbu-
ry die unbestimmte Angabe, der König sei bei seinem Tod maz'or z^zzaEragezrarzo gewesen;
BARLOW 1983, S. 3, Anm. 1.
 
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