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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0057

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England und Frankreich nach 1066

Nationaler Gegensatz, dynastischer Konflikt,
verweigerte Lehenstreue - oder eine Frage der
Fhre?

Für fast vier Jahrhunderte, von 1066 bis 1453, herrschten die englischen Köni-
ge nicht nur über das Königreich England, sondern zugleich über große Teile
des westfranzösischen Festlands: seit 1066 über die Normandie, ab der Mitte
des 12. Jahrhunderts auch über das Anjou und Aquitanien, nach 1204 nur
noch über letzteres, jedoch mit der nie aufgegebenen Option eines erneuten
Ausgreifens nach Norden'.
Die Verschränkung der Herrschaftsbereiche beider Könige ist ein wichti-
ger Faktor in der mittelalterlichen Entwicklungs- und Entstehungsgeschichte
Frankreichs und Englands: Die Verbindung von insularem Königtum und
herzoglicher Herrschaft auf dem Kontinent integrierte das angelsächsisch-
skandinavische England in die übergreifenden Strukturen des karolingischen
Europa. Daß der Inhaber des größten nordfranzösischen Territorialfürsten-
tums in der Mitte des 11. Jahrhunderts ein außerhalb des mgMMm FnmcorMfn
gelegenes Königreich erwarb und drei Generationen später außerdem ganz
Südwestfrankreich seinem Herrschaftsbereich eingliederte, beschränkte den
räumlichen Handlungsspielraum des französischen Königtums. Erst durch
die Eroberung der Normandie und des Anjou schuf Philipp II. zu Beginn des
13. Jahrhunderts die Voraussetzungen für die herrschaftliche Integration des
westfränkisch-französischen Reiches, die nun verspätet, aber dafür mit den
neuen Mitteln schriftlicher Verwaltung und bald auch entwickelter Jurispru-
denz um so effektiver einsetzte.
Mit den kontinentalen Besitzungen des englischen Königtums entstand an
zentraler Stelle im politischen Gefüge Westeuropas eine ausgedehnte Zone, in
der sich Herrschaftsansprüche zweier Könige in einer Weise überschnitten,
die mit den aus der Antike und der Karolingerzeit tradierten Ordnungsvor-
stellungen nicht erfaßbar war und mehr noch aus der Perspektive moderner
Vorstellungen von nationalstaatlicher Souveränität als Anomalie erscheint.
Dennoch blieb die Verschränkung der Herrschaftsbereiche auf sich wandeln-
der territorialer Grundlage über alle dynastischen Wechselfälle, Verschiebun-
gen der politischen Kräfteverhältnisse und Änderungen im Herrschaftsgefüge

1 Den neuesten Überblick bietet Robert BARTLETT, England under the Norman and Angevin
Kings, 1075-1225 (The New Oxford History of England 4), Oxford 2000, S. 11-28.
 
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