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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0352

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348

Kapitel V

eheliche Beziehungen mit Ingeborg von Dänemark aufzunehmen, die er sechs
Jahre später unmittelbar nach der Hochzeitsnacht verstießt.
Während diese Überlegungen auf den ersten Blick als spekulativ erkenn-
bar sind, erfordert die Person Richards eine nähere Betrachtung. Die folgende
Analyse der Quellen und ihrer Deutung in der Forschung seit 1900 wird zu-
gleich verständlich machen, weshalb Gesten physischer Intimität unter Män-
nern im Mittelalter eine zentrale Rolle in der symbolischen Kommunikation
von Königen und Adligen spielen konnten und warum diese Rolle in der For-
schung des 20. Jahrhunderts in ihrer Tragweite nicht erkannt wurde.

5. a. Ungeordnete Begierden, demonstrative Freundschaft.
Das Bild Richards I. in den erzählenden Quellen
Für einen Leser des späten 20. Jahrhunderts ist Rogers Aussage, Richard habe
mit Philipp das Bett geteilt, eine unzweideutige Anspielung auf ein sexuell
motiviertes Verhältnis. In der Forschung der letzten Jahrzehnte sind eine Rei-
he von Indizien dafür zusammengetragen worden, daß Richard einem sol-
chen möglicherweise nicht abgeneigt gewesen wäre. Vor der Behandlung der
Darstellung Rogers von Howden ist daher dieses Quellenmaterial einer Revi-
sion zu unterziehen.
Häufig angeführt, jedoch von nur geringem Beweiswert ist Richards späte
Eheschließung: Richard heiratete erst mit 33 Jahren, d.h. etwa zehn Jahre
später als die meisten seiner Vorgänger und Nachfolger. Auch nach seiner
Hochzeit mit Berengaria von Navarra verbrachte er nur wenig Zeit mit seiner
Königin. Offenbar war die Zeugung eines Thronerben kein vorrangiges Ziel
für ihn. Schlüssig erklärbar ist dieses Verhalten nicht, auch wenn John Gil-
lingham zurecht auf folgende Punkte hingewiesen hat: Richard wurde erst
nach dem Tod seines älteren Bruders 1184 Thronerbe; erst von diesem Zeit-
punkt an stellte sich die Frage eines Erben mit besonderer Dringlichkeit. Seine
lange Verlobung mit Philipps II. Schwester Adelheid, die er offensichtlich
nicht heiraten wollte, konnte nicht ohne politischen Schaden gelöst werden
und hinderte ihn an einer früheren anderen Eheschließung. Auch daß er kei-

181 International Medieval Congress Leeds, 11. Juli 1996, session 1207, paper c: »Innocent and
Ingeborg. Advice to a Princess« (Frederik Pedersen, Aberdeen). Zur Ehe Philipps mit Inge-
borg von Dänemark vgl. George CONKLIN, Ingeborg ot Denmark, Queen of France, 1193-
1223, in: Queens and Queenship in Medieval Europe. Proceedings ot a Conference Held at
King's College London, April 1995, hg. v. Anne Duggan, Woodbridge 1997, S. 39-52;
BALDWIN 1986, S. 82-87 and 357 f.; vgl. auch Jean GAUDEMET, Le dossier canonique du mar-
riage de Philippe Auguste et d'Ingeburge de Dänemark (1193-1213), in: Revue historique de
droit frangais et etranger 62 (1984), S. 15-29. Gaudemet betont, daß Philipp II. zunächst eine
Annullierung wegen unerlaubter Verwandtschaft anstrebte. Dagegen habe er das Argument,
die Ehe mit Ingeborg sei nie vollzogen worden, erst vorgebracht, als deutlich wurde, daß In-
nozenz III. die in den Jahrzehnten zuvor entwickelten Prinzipien des kanonischen Rechts
strikt anwenden würde, denen zufolge eine vollzogene Ehe nur bei sehr naher Verwandt-
schaft getrennt werden konnte.
 
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