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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0367

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Gleichrangigkeit in der Unterordnung

363

Lofts machte sie zur Grundlage eines erfolgreichen Romans L Die Legende
vom treuen Sänger Blondei, der Richard während seiner Gefangenschaft in
Deutschland ausfindig machL, bot in früheren Bearbeitungen durchaus den
Stoff dazu: »Er zeigte sich im schönsten Jugendlichte / Am königlichen Hof.
Sein göttlicher Gesang / sein männlich schöner Bau, die Reize seiner Jugend
/ gewannen bald des jungen Richards Herz«, mit diesen Worten hatte Fried-
rich August Müller 1790 den Sänger Blondel in die Handlung seines Epos
»Richard Löwenherz« eingeführt^. Bei Müller waren diese Sätze allerdings
der gänzlich unverfängliche Ausgangspunkt einer Handlung, die um Ri-
chards Liebe zu einer schönen Prinzessin kreiste. In der Darstellung Lofts da-
gegen richtet sich das Begehren Richards unmittelbar auf Blondel und führt
zum Zerbrechen ihrer Freundschaft.
Im den folgenden zehn Jahren fehlen unter dem Eindruck der McCarthy-
Prozesse in den USA und der vergleichbaren Entwicklung des politischen
Klimas in den europäischen Ländern entsprechend explizite Äußerungen
über die vermutete Homosexualität Richards Erst in den sechziger Jahren
wurden die Gedanken Harveys wieder aufgenommen. 1966 machte James
Goldman Richards Liebe zu Philipp II. zu einem zentralen Strukturelement
seines Theaterstücks »The Lion in Winter«, das 1969 erfolgreich verfilmt wur-
de Der Boden für die Ausbildung des heutigen Forschungsstandes war
damit bereitet, als die Geschichte der Sexualität nach 1968 ein akzeptables
Forschungsfeld wurde" und die neuformierten sexuellen Minderheiten das
Recht auf ihre eigene Geschichte einzufordern begannen.

5. c. Richard und Philipp als David und Jonathan.
Roger von Howden und sein alttestamentliches Vorbild
Jede Generation des 20. Jahrhunderts schuf sich, wie der Forschungsrückblick
gezeigt hat, »ihren« Richard Löwenherz anhand ihrer eigenen Kategorien
neu. Die Veränderungen seines Bildes aber spiegeln weit mehr die sich wan-
delnde Wahrnehmung des Zusammenhangs von männlicher Freundschaft
und gleichgeschlechtlichem Begehren in der Gegenwart als neue Einsichten in
die Aussagen der überlieferten Quellen.

236 Norah LOFTS, The Lute Player, London 1951.
237 Zu dieser Legende vgl. GlLLlNGHAM 1992, S. 55-57; ßROUGHTON 1966, S. 166-168.
238 Friedrich August MÜLLER, Richard Löwenherz. Ein Gedicht in 7 Büchern, Berlin/Stettin
1790, S. 19; Friedrich August MÜLLER, Richard Löwenherz. Ein Gedicht in 7 Büchern, Berlin
T819, S. 6 f.
239 Philip HENDERSON, Richard Coeur de Lion. A Biography, New York 1959, S. 19, spricht die
Frage einer möglichen Flomosexualität Richards nur kurz und in einer eigenartig vom Zu-
sammenhang seiner übrigen Darstellung abgelösten Form an.
240 James GOLDMAN, The Lion in Winter, London 1966.
241 Vem L. BULLOUGH, Sex in History. A Redux, in: Desire and Discipline. Sex and Sexuality in
the Premodem West, hg. v. Jacqueline Murray/Konrad Eisenbichler, Toronto/Buffalo 1996,
S. 3-22.
 
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