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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0368

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364

Kapitel V

Wie aber faßten zeitgenössische Leser den Text Rogers von Howden auf?
Einen ersten Hinweis gibt das Bibelzitat »und der König liebte ihn wie seine
eigene Seele«. Roger verweist damit auf die im Alten Testament geschilderte
Freundschaft zwischen David und Jonathan: »Das Herz Jonathans verband
sich mit dem Herzen Davids ... und Jonathan schloß mit David einen Bund,
denn er hatte ihn lieb wie seine eigene Seele« (1 Sam 18,1). Dabei ist Jonathan
als Königssohn dem Hirtenjungen David an Rang und Abstammung überle-
gen, erkennt aber an, daß persönliche Tüchtigkeit und die Gnade Gottes auf
David ruhen. Diese geschichtstheologische Deutung bot einen unmittelbaren
Bezugspunkt für die Deutung des Verhältnisses Philipps II. zu Richard Lö-
wenherz. Kaum zufällig wählte Roger seine Worte so, daß Philipp die Rolle
Jonathans, Richard dagegen die Rolle Davids zufiel.
Im 1. Buch Samuel rettet Jonathan in der Folge David vor den Nachstel-
lungen Sauls, fällt aber schließlich mit seinem Vater in der letzten Schlacht
Sauls gegen die Philister. Auf die Nachricht vom Tod seines Freundes singt
David ein Klagelied, das in den Worten gipfelt »Es ist mir leid um dich, mein
Bruder Jonathan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Lie-
be ist mir wunderbarer gewesen als Frauenliebe« (2 Sam 1,26). Philologisch
gehört dieser Vers der ältesten Textschicht der Samuel-Bücher an; sicher ist er
keine spätere Zutat und unstrittig zentral für das Verständnis der gesamten
Erzählung'^. Seine Deutung ist allerdings exegetisch umstritten: Studien der
letzten Jahrzehnte haben terminologische Anklänge an altorientalische Frie-
densverträge aufgezeigt, die eine politische Interpretation nahelegen, aber
auch strukturelle Parallelen zu Freundschaftsdichtungen vom Typ Achill und
Patroklos, die eine homoerotische Deutung nicht ausgeschlossen erscheinen
lassen^.
Wofür aber stand die Geschichte von David und Jonathan im 12. Jahrhun-
dert? Die Ambiguität des Bekenntnisses »Deine Liebe ist mir wunderbarer

242 Die von Diana Vikander EDELMAN, The Authenticity of 2 Sam 1,26 in the Lament over Saui
and Jonathan, in: Scandinavian Journal of the Old Testament 1 (1988), S. 66-75 geäußerte
Vermutung, es handele sich um eine spätere Interpolation, ist nicht haltbar; vgl. Andre
CAQUOT/Philippe de ROBERT, Les livres de Samuel (Commentaire de TAncien Testament 6),
Genf 1994, S. 370.
243 Zur theologischen und literaturhistorischen Deutung der Freundschaft von David und Jo-
nathan vgl. zusammenfassend WALTER DlETRICH/THOMAS NAUMANN, Die Samuelbücher
(Erträge der Forschung 287), Darmstadt 1995, S. 59-64; im einzelnen: Jo Cheryl EXUM, Tra-
gedy and Biblical Narrative. Arrows of the Almighty, Cambridge 1992, S. 74-81; Otto
KAISER, David und Jonathan. Tradition, Redaktion und Geschichte in 1 Sam 16-20, in:
Ephemerides Theologicae Lovanienses 66 (1990), S. 283-296; David M. HALPERIN, Heroes
and Their Pals, in: One Hundred Years of Homosexuality and Other Essays on Greek Love,
New York 1990, S. 75-87; David DAMROSCH, The Narrative Covenant. Transformations of
Genre in the Growth of Biblical Literature, Cambridge 1987, S. 204-206; Katharine DOOB
SAKENFELD, Loyalty and Love. The Language of Human Interconnections in the Hebrew Bi-
ble, in: Michigan Quarterly Review 22 (1983), S. 190-204; David JOBLING, Jonathan. A Struc-
tural Analysis in 1 Samuel, in: The Sense of Biblical Narrative. Three Structural Analyses in
the Hebrew Bible (Journal for the Study of the Old Testament. Supplement series 7), Shef-
field 1978, S. 4—25; J. A. THOMPSON, The Significance of the Verb 'Love' in the David-
Jonathan Narratives in 1 Samuel, in: Vetus Testamentum 24 (1974), S. 334-338.
 
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