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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0357

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Gleichrangigkeit in der Unterordnung

353

»Dornen der Lust« (ucpzvs EHtü'zzzs) und »unerlaubter Beischlaf« (concM&z'fMS zl-
Izcz'fMs) lassen jedoch erkennen, daß Roger hier auf irgendeine Art von »un-
aussprechlicher Sünde« anspielt. Für diese Deutung spricht auch, daß Sodoz?z
und sozfoztzz'zz im Mittelalter zwar ein breites, wenig klar definiertes Bedeu-
tungsspektrum abdeckten, dieses jedoch seit dem 12. Jahrhundert zuneh-
mend, wenn auch keineswegs ausschließlich in Richtung auf »homosexuelles
Verhalten« eingeengt wurde" '".
Alle diese Berichte fügen sich zu einem Bild Richards, das in modernen
Kategorien sexueller Orientierung nicht darstellbar ist'"'. Nicht die Frage, ob
Richard Männer oder Frauen bevorzugte, interessierte die Chronisten des 12.
und 13. Jahrhunderts, sondern sein Mangel an Selbstbeherrschung.

5. b. Geordnete Begierden, verdächtige Freundschaft.
Das Bild Richards I. im 20. Jahrhundert
Aus heutiger Sicht fordert die Tatsache, daß Richard und Philipp im Juni 1187
ihre Nächte gemeinsam in einem Bett verbrachten, eine Erklärung. Es fällt
daher auf, daß vor dem Ende des 19. Jahrhunderts kein Flistoriker in England,
Frankreich oder Deutschland den Bericht Rogers von Howden kommentierte
oder ihm auch nur größere Beachtung schenkte.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts interpretierte Laurence Echard in seiner
Darstellung der englischen Geschichte zwar die Warnung des Eremiten als
Verweis auf »innatural impurity«, schreibt aber über den Besuch Richards in
Paris wie selbstverständlich »(that) such a great intimacy grew between them,
that one table and one bed usually serv'd for both«"Ganz entsprechend
deutete zwei Jahrzehnte später Paul de Rapin-Thoyras die Warnung des Ere-
miten als Hinweis auf »sins against nature«; die liebkosenden Freundschafts-
beweise (»carasses«), die Philipp Richard in Paris zukommen ließ, indem er
mit ihm aus einer Schüssel aß und »ihm Zutritt zu seinem Bett gewährte«,
schienen ihm dagegen als solche nicht auffällig^.

200 JORDAN 1997.
201 Der Versuch Trindades, die widersprüchlichen Berichte als Reflex eines Ringens Richards
mit seiner sexuellen Orientierung zu deuten, zeigt kaum mehr als die Aussichtslosigkeit ei-
nes solchen Unterfangens; TRINDADE 1999, S. 190-194; vgl. auch S. 68, 71 f., 122-125 und 130.
202 Laurence ECHARD, The History of England from the First Entrance of Julius Caesar and the
Romans to the End of the Reign of King James the First, London 1707, S. 211 und 226
(=London *1720, S. 89 und 95); vgl. GlLUNGHAM 1999, S. 265.
203 Paul RAPIN DE THOYRAS, The History of England Written in French by Mr. Rapin de Thoyras
Translated into English with Additional Notes by N(icholas) Tindal, London T732, Bd. 1, S.
241 und 257; vgl. GlLLINGHAM 1999, S. 265. Wenn Rapin-Thoyras zum Besuch Richards in
Paris anmerkt »These carasses wrought a sudden effect in the mind of the English prince
who never once suspected the motive«, so betont er damit lediglich, daß Philipp mit seinen
Gesten politische Ziele verfolgte, während Richard sie als aufrichtige Freundschaftsbeweise
interpretierte. Zu Paul de Rapin-Thoyras und seinem hugenottischen Hintergrund vgl. Nelly
GlRARD D'ALßlSSIN, Un precurseur de Montesquieu. Rapin-Thoyras premier historien
fran^ais des institutions anglaises (Societe d'histoire du droit. Collection d'histoire instition-
 
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