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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0261

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Akt von St-Clair-sur-Epte

257

Unterwerfung entfaltet, ist in diesem Sinne keineswegs eindeutig. Eingebettet
in den Liebes- und Freundschaftsdiskurs, verweist sie vielmehr auf das von
Dudo wenige Kapitel zuvor als Gegenmodell zu den herrschaftlichen Forde-
rungen des westfränkischen Königs entworfenene Freundschaftsbündnis mit
dem englischen König, das von Rollo gleichfalls mit dem formellen Angebot
»treuen Dienstes« eingeleitet wirdU
Eingeschoben in diese Darstellung eines Friedensschlusses durch Hand-
gang und Sicherheitseid ist zum anderen die Anekdote vom mißlungenen
Fußkuß: Die westfränkische Seite verlangt von Rollo ein demütigendes Zei-
chen der Unterwerfung unter ihren König. Rollo verweigert dies, und der
normannische Krieger, der ihn vertreten soll, fügt dem westfränkischen Kö-
nig selbst eine mehr als vergleichbare Demütigung zu. Der Versuch der Bi-
schöfe, dem Verhältnis des normannischen Herzogs zum westfränkischen
König eine eindeutig hierarchisch unterordnende Deutung zu geben, ist da-
mit abgewehrt.
Für die weitere Analyse stellen sich nun zwei Fragen: Warum wählte Du-
do von St-Quentin gerade diese Form der Darstellung? und: Welche Funktion
hat seine Schilderung des Aktes von St-Clair-sur-Epte in der narrativen
Struktur des gesamten Werkes? Beide Fragen sollen im folgenden in einem
doppelten Zugriff (zunächst extrinsisch, dann textimmanent) angegangen
werden.

4.
Eine normannische Vergangenheit für eine
fränkisch assimilierte Gegenwart

Unter welchen Bedingungen schrieb Dudo von St-Quentin? 987 war der da-
mals 22jährige Dudo von St-Quentin als Abgesandter Graf Alberts von Ver-
mandois erstmals an den Hof Herzog Richards I. (942-996) gekommen. Dieser
war von dem jungen, an der Lütticher Domschule gut ausgebildeten Kleriker
offenbar beeindruckt. Er suchte ihn durch zahlreiche Gunsterweise^ an sich
zu binden und erteilte ihm 994, zwei Jahre vor seinem Tod, den Auftrag, »die
Gewohnheiten und Taten des normannischen Landes und auch die Rechte

37 Dudo Sancti Quintini, De moribus et actis primorum Normanniae ducum (ed. Lair), S. 147 f.
Durch ihre symmetrische Struktur und die Tatsache, daß Rollo noch nicht getauft ist, unter-
scheidet sich die Darstellung des Aktes von St-Clair-sur-Epte bei Dudo von St-Quentin we-
sentlich von der ansonsten vergleichbaren Beschreibung der Lehenshuldigung des däni-
schen Königs Harald an Ludwig den Frommen bei Ermoldus Nigellus; Ermoldus Nigellus,
De rebus gestis Ludovici Pii (CHF 14; ed. Faral), S. 188 (V. 2481-2489).
38 In seinem Widmungsbrief an Erzbischof Adalbero von Laon verweist Dudo auf fnuumgra &g-
Hg/üda, <?aag a&st?Mg meo menfo MuTn dignaias graf fmpgrfz'rz; Dudo Sancti Quintini, De moribus et
actis primorum Normanniae ducum (ed. Lair), S. 119.
 
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