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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0098

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94

Kapitel II

Gefangenschaft zusammen mit Johann Ohneland das Vexin und andere nor-
mannische Grenzgebiete zu erobern. Diese konnte Richard I. in der Folge nur
teilweise zurückgewinnen

1. i. Konflikteskalation und lehenrechtlicher Dissens.
Johann Ohneland und Philipp II.
Ein halbes Jahrhundert hatte der anglo-angevinische Herrschaftskomplex so
Bestand, wie Heinrich II. ihn in der Mitte des 12. Jahrhunderts begründet
hatte. Da von seinen vier Söhnen nur zwei ihren Vater überlebten und einer
der beiden der ohne größere Ausstattung gebliebene Johann Ohneland war,
gingen alle Gebiete, die Heinrich II. in seiner Hand vereinigt hatte, geschlos-
sen auf Richard als den ältesten überlebenden Sohn über. Dessen kinderloser
Tod jedoch wurde zu einem Wendepunkt der Entwicklung:
Als Richard Löwenherz im Frühjahr 1199 in der Nähe von Limoges im
Alter von 41 Jahren überraschend an den Folgen einer Verwundung starb, be-
stimmte er auf dem Sterbebett seinen Bruder Johann als Nachfolger. Johanns
Anspruch war allerdings nicht unumstritten. Richard hatte gezögert, ihn als
Nachfolger aufzubauen und stattdessen seinen Neffen Otto IV. durch Ernen-
nung zum Grafen von Poitou ausgezeichnet und damit in die Stellung einge-
wiesen, die er selbst vor seinem Herrschaftsantritt gehabt hattet
Otto IV. war seit seiner Wahl zum römischen König 1198 kein Konkurrent
mehr. Johanns 1186 in Paris gestorbener älterer Bruder Gottfried von der
Bretagne aber hatte einen postum geborenen Sohn Arthur hinterlassen, der
inzwischen zwölf Jahre alt war und von vielen als Nachfolger Richards favo-
risiert wurde.
Eindeutige erbrechtliche Regeln, ob der jüngere Bruder oder der Sohn des
älteren in der Thronfolge vorgehe, existierten nicht; jeder Präzedenzfall fehl-

123 Alexander CARTELLIERI, Philipp II. August, König von Frankreich, Leipzig 1899-1922, Bd. 1,
S. 228, und Bd. 3, S. 14.
124 Bernd Ulrich HÜCKER, Kaiser Otto IV. (MGH Schriften 34), Hannover 1990, S. 16-19; zu Ot-
tos Stellung in Aquitanien vgl. Robert FAVREAU, Otto von Braunschweig und Aquitanien, in:
Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235.
Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995. 2: Essays, hg. v. Jochen Luckhardt/Franz Nie-
hoff, München 1995, S. 369-376; James Clarke HOLT, Alienor d'Aquitaine, Jean sans Terre et
la succession de 1199, in: Cahiers de civilisation medievale 29 (1986), S. 95-100. Jens AHLERS,
Die Welfen und die englischen Könige 1165-1235 (Quellen und Darstellungen zur Ge-
schichte Niedersachsens 102), Hildesheim 1987, S. 169-178, v.a. S. 177, weist zurecht darauf-
hin, daß die Ausstattung Ottos mit Aquitanien nicht notwendigerweise die Designation als
Nachfolger im Königtum implizierte, sondern daß Richard (ähnlich wie Heinrich II. 1169 in
Montmirail) eine Ausgliederung Aquitaniens aus dem anglo-angevinischen Herrschafts-
komplex durch Schaffung einer Sekundogenitur geplant haben könnte. Die von Ahlers ange-
führten Gründe (Entspannung des Verhältnisses zu Philipp II. durch Aufteilung des Anyeniu
ewpire, Sicherung Aquitaniens durch einen präsenten Herzog statt eines fernen Königs) sind
jedoch keineswegs zwingend. Es ist davon auszugehen, daß sich Richard bis zu seinem Tod
in der Frage der Nachfolge nicht festlegte, Otto aber auffällig förderte und damit von einem
»not-impossible successor« (Stubbs) zu einem aussichtsreichen Kandidaten machte.
 
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