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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0170

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Kapitel II

Aussicht auf eine Vereinigung Englands und Frankreichs ohnehin unpassend
erscheinen ließ.
Noch sehr viel länger sollte es allerdings dauern, bis das kollektive Ge-
schichtsbewußtsein in England auch das Trauma der normannischen Erobe-
rung überwand. Die englischen Medieaevisten des späten 19. und frühen 20.
Jahrhunderts verwandten einen wesentlichen Teil ihrer Kraft darauf, gegen
die ihnen zunehmend unerträgliche Vorstellung zu kämpfen, »that almost
everything we call civilization was introduced into this country by the Nor-
mans«'^. In ihrer Erinnerung war der Festlandsbesitz der englischen Könige
des Hoch- und Spätmittelalters nicht nur eine Präfiguration des kolonialen
britischen Empire ihrer Tage, sondern zugleich auch das Ursprungsland der
Könige und der adligen Oberschicht ihres Landes. Erst die Landung britischer
Truppen in der Normandie am 6. Juni 1944 und ihr zentraler Anteil an der Be-
freiung Frankreichs schloß dieses Kapitel, das am 14. Oktober 1066 mit dem
Sieg Wilhelms des Eroberers in der Schlacht von Hastings begonnen hatte,
aus englischer Sicht mit einer ausgeglichenen Bilanz ab. »NOS A GuiLELMO
VICTI VICTORIS PATRIAM LIBERAVIMUS« kündet seither das Ehrenmal des briti-
schen Soldatenfriedhofs in großen Marmorlettern jedem Besucher der Stadt
Bayeux, wenn er das Museum verläßt, in dem bis heute die Bilder des Tep-
pichs von Bayeux die Erinnerung an die Anfänge dieser Verbindung Eng-
lands mit dem Kontinent bewahren.

2. Mittelalterforschung im Zeichen des nationalen
Antagonimus.
Die englisch-französischen Beziehungen in der
Mediaevistik des 20. Jahrhunderts
»Whether we like it or not, English and French medieval history are one
subject« - mit dieser Feststellung schloß der englische Historiker Thomas
Frederick Tout (1855-1929) im Frühjahr 1921 eine Reihe von Vorträgen über
»England and France in the Middle Ages«, die er auf Einladung seines fran-
zösischen Kollegen Eugene Deprez (1874-1951) an der Universität Rennes ge-

315 1898 bezeichnete William Henry Stevenson (1858-1924) zu Beginn seiner Cambridger Vorle-
sungen über die angelsächsische Königskanzlei diese Auflassung als »an erroneous view
that is not yet extinct«. Er gab damit zu erkennen, daß er seine diplomatischen Untersu-
chungen der angelsächsischen Zeit zugleich als einen Beitrag zu einer nationalgeschichtli-
chen Revision der englischen Geschichte des Mittelalters verstand; Cassandra POTTS, The
Early Norman Charters, in: England in the Eleventh Century. Proceedings of the 1990 Har-
laxton Symposium, hg. v. Carola Hicks (Harlaxton Medieval Studies 2), Stamford 1992, S.
25-40, S. 25. Die dort als »forthcoming« angekündigte Ausgabe der einschlägigen Texte Ste-
vensons unter dem Titel »The Anglo-Saxon Chancery and Other Studies« (ed. S. Keynes/H.
Kleinschmidt) ist bislang nicht erschienen.
 
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