Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0260

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
256

Kapitel IV

3. Integration, aber keine Unterordnung.
Die narrative Konsistenz der Darstellung
Dudos von St-Quentin
Angesichts der aufgezeigten inneren und äußeren Widersprüche ist davon
auszugehen, daß Dudo von St-Quentin in freier litararischer Stilisierung die
allmähliche Herausbildung eines moJus vivendi zwischen Normannen und
Franken aus der Rückschau zu einem programmatischen Gründungsakt des
normannischen Herzogtums verdichtet hat. Begreift man aber seinen Bericht
nicht als objektive Wiedergabe vergangener Wirklichkeit, sondern als subjek-
tive, aus der Gegenwart erwachsene Konstruktion erinnerter Vergangenheit,
so erschließt sich die narrative Struktur des Textes unmittelbar. Zwei Erzäh-
lungen, die jede für sich eine klare und plausible Aussage enthalten, sind in-
einander verschränkt:
Dudo beschreibt zum einen aus fränkischer Perspektive die Überlassung
der Normandie und der Bretagne an Rollo, den Anführer der Normannen:
Rollo wird ehrenvoll empfangen und leistet dem westfränkischen König den
Handgang. Dieser leistet im Gegenzug gemeinsam mit den Großen seines
Reiches Rollo einen Sicherheitseid. Die Reziprozität des Verhältnisses steht
hier ganz im Vordergrund. Der Handgang erscheint nicht in erster Linie als
Zeichen lehenrechtlicher Unterordnung, sondern als das Pendant zum west-
fränkischen Sicherheitseid, den Rollo ja seinerseits nicht leisten kann, da er
noch nicht getauft ist.
Daß Dudo keinen Akt eindeutiger Unterwerfung beschreibt, ergibt sich
aus seiner Darstellung der Vorgeschichte: Auch in den vorangehenden Kapi-
teln bleibt die Frage, ob es sich um ein Friedens- und Freundschaftsbündnis
oder einen Akt herrschaftlicher Unterordnung handelt, in der Schwebe. In
den Verhandlungen stellt Erzbischof Franco von Rouen, der Gesandte Karls
des Einfältigen, Rollo die Zuweisung von Land, die Ehe mit der Königstocher
Gisela^, festen Frieden und beständige Freundschaft in Aussicht. Rollo geht
auf dieses Angebot ein und läßt dem westfränkischen König mitteilen, daß er
bereit sei zu seinem Dienst, wenn er das Versprochene gebe. Karl dem Einfäl-
tigen berichtet der Erzbischof daraufhin, Rollo werde ihm »seine Hände in
Unterwerfung als Unterpfand der Treue darbieten und verspreche ihm Liebe
und unverbrüchliche Freundschaft «G
Von herrschaftlicher Unterwerfung war jedoch im Bericht über die Ver-
handlungen mit den Normannen nicht die Rede gewesen. Die von Rollo ge-
äußerte Bereitschaft zum »Dienst«, die der Erzbischof in seinem Bericht zur

35 Die außer bei Dudo nicht belegte Abstammung Giselas, der Stammutter der Rolloniden, von
Karl dem Einfältigen, wurde möglicherweise von Dudo in die Erzählung eingebaut, um die
normannischen Herzoge an die Karolinger anzusippen.
36 Dudo Sancti Quintini, De moribus et actis primorum Normanniae ducum (ed. Lair), S. 166 f.:
RoEo dux NoriEH-MHHorMfM iz'Ez amorz's et amz'cz'tz'ae z'nexirz'caEz'Es, zyuz'n etz'am sernz'tzz pactum ... ma-
uus suas sc suEzugaudo tz'Ez daEzt/zdeEtatzs gratz'a tMum^uc semz'tfHm z'nccssauter cxpteEz't (S. 167).
 
Annotationen