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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0259

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Akt von St-Clair-sur-Epte

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bevor sie in der Ratsversammlung das Wort ergreifen; ebenso begrüßt der
Aquitanier Bigo als Gesandter Ludwigs des Frommen Karl den Großen mit
einem Fußkuß, bevor er ihn anspricht. Auffälligerweise erscheint der Fußkuß
bei Ermoldus Nigellus jedoch nur im Umfeld des Zuges Ludwigs gegen Bar-
celona (800/801)^, nicht dagegen in den weiteren Büchern des Preisgedichtes,
die außerhalb Aquitaniens spielen^. Lediglich als Metapher flehentlicher
Supplikation greift Ermoldus Nigellus das Bild des Fußkusses noch einmal in
seinem ersten Brief an König Pippin von Aquitanien auU.
Da sich die einschlägigen Belege bei Ermoldus Nigellus ausschließlich auf
Aquitanien beschränken, wird man aus ihnen kaum folgern können, der Fuß-
kuß sei fester Bestandteil des karolingischen Hofzeremoniells und in den Au-
gen Dudos die selbstverständliche Form der Unterordnung gewesen^. Eher
ist an eine besondere Gewohnheit Aquitaniens zu denken, wo (ebenso wie in
Italien) spätantike römische Traditionen wesentlich ungebrochener fortwirk-
ten als nördlich der Loire. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich, daß die
westfränkischen Bischöfe tatsächlich auf den Gedanken verfallen sein könn-
ten, vom Anführer der Normannen einen Fußkuß zu verlangen.
(c) Drittens aber ist kaum anzunehmen, daß der westfränkische König,
seine Bischöfe und Adligen eine so eklatante Demütigung wie den mißlunge-
nen Fußkuß einfach hingenommen hätten, als wäre nichts geschehen. Das
beiläufige ccfcnuTf (»im übrigen«), mit dem Dudo seinen Bericht über den Si-
cherheitseid der westfränkischen Seite anschließt, hat wesentlich dazu beige-
tragen, seine normannische Geschichte als Quelle für eine Rekonstruktion der
Wirklichkeit des frühen 10. Jahrhunderts zu diskreditieren.

31 Ermoldus Nigellus, De rebus gestis Ludovici Pii (CHF 14; ed. Faral), S. 18 (V. 173), S. 20 (V.
213) und S. 46 (V. 582); vgl. Dieter SCHALLER, Ermoldus Nigellus, in: Lexikon des Mittelalters
3 (1986), S. 2160-2161; Peter GODMAN, Louis the Pious and His Poets, in: Frühmittelalterliche
Studien 19 (1985), S. 239-289, S. 255-271 (v.a. 260-264) sowie die Hinweise von Faral in der
Einleitung seiner Edition (S. XII-XIX) und die Literatur bei HACK 1999, S. 458 f., Anm. 234-
238; zum Zug gegen Barcelona vgl. Enrique CAMÖN FERNÄNDEZ DE ÄVILA, Eis annals carolin-
gis i la tradiciö clässica. Eis fets de Barcelona al 801, in: Faventia 15.2 (1993), S. 99-112.
32 Der von Ermoldus Nigellus berichtete Fußkuß Einhards vor dem Kaiser (V. 684) ist nicht
einschlägig, da Einhard nicht zu den weltlichen Großen zählt. Vom Fußkuß zu differenzie-
ren ist der weitaus weniger demütigende Kniekuß, den Ermoldus Nigellus dem Grafen von
Nantes, der Karl den Großen um Hilfe gegen die Bretonen bittet, und - hier gleichfalls nicht
einschlägig - der Kaiserin Judith zuschreibt (V. 1294 und 2355). Entsprechend schildert
Hibemicus Exul, Versus ad Karolum imperatorem de defectione Dasilonis ducis Baioa-
riorum (MGH PP 1; ed. Dümmler), S. 399 (V. 11.99 f.), die Unterwerfung Tassilos 787: oscMÜ
tMfn ELans gcmLns pre&dcz'a regz's /zfux; vgl. Schwab 1980, S. 237 f.
33 Ermoldus Nigellus, Ad Pippinum regem (CHF 14; ed. Faral), S. 206 (V. 57); vgl. Lk 7,38; Jes
49,23.
34 So CHRISTIANSEN 1998, S. 196, Anm. 207, und KoziOL 1992, S. 152 f.
 
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