Einleitung
39
In Frankreich dagegen hatten Episkopat und Adel der peripheren Territo-
rialhirstentümer ein Interesse daran, die Vorstellung eines umfassenden Ver-
bandes aller /z'&Fs des 7vx FnmcorMTW auszubauen, um die Macht regionaler
Herrschaftsträger einzuschränken und ihnen in der Person des Königs ein
Gegengewicht gegenüberzustellen. Der Bedeutungsgehalt des Titels rax Fmn-
corM??i und der regionalen Bezeichnung Francia dehnte sich daher im Verlauf
des 12. und 13. Jahrhundert mit dem tatsächlichen Herrschaftsgebiet der fran-
zösischen Könige aus% während die Bezeichnung rax AnyUniw und AngFa
stets auf das insulare Reich beschränkt blieb.
In sehr unterschiedlicher Weise prägte das entstehende Nationsbewußt-
sein in ihren Reichen somit die Handlungsspielräume des englischen und des
französischen Königtums. Zu prüfen ist daher, ob und in welcher Form Ar-
gumente nationaler Zugehörigkeit und Abgrenzung aufscheinen und von
welchem Zeitpunkt an sie erkennbar das Verhältnis der Könige zueinander
bestimmten.
Es stellt sich damit zugleich die Frage, wie die im folgenden zu untersu-
chenden Beziehungen der englischen zu den französischen Königen im 12.
und 13. Jahrhundert angemessen zu bezeichnen sind. Der in der anglo-
amerikanischen und französischen Forschung des öfteren gebrauchte Begriff
»internationale« Beziehungen"" ist für den Untersuchungszeitraum in einer
deutschsprachigen Darstellung kaum anwendbar, denn er impliziert im
Deutschen ein vorrangig auf die Nation ausgerichtetes Staats- und Herr-
schaftsverständnis der Könige, das so im 12. und 13. Jahrhundert sicher nicht
gegeben war.
Einen möglichen Ausweg aus der Schwierigkeit, die Beziehungen zweier
mittelalterlicher Herrscher zueinander mit einem angemessenen und doch
handhabbaren Begriff zu belegen, hat unlängst Esther Pascua Echegaray
durch den Vorschlag gewiesen, statt von »internationalen«, »zwischenstaatli-
chen« oder »außenpolitischen« von »interfeudalen« Beziehungen zu spre-
chen, d.h. solchen Beziehungen, die über den herrschaftlich strukturierten
Lehensverband eines Herrn hinausreichten".
65 SCHNEIDMÜLLER 1987; Charles T. WOOD, Regnum Francie. A Problem in Capetian Admini-
strative Usage, in: Traditio 23 (1967), S. 117-147.
66 HOLLISTER 1984, S. 284, unterscheidet zwischen »Norman rebellions« gegen Heinrich I. und
den »international wars« zwischen ihm und Ludwig VI. In den fünfziger Jahren wurde in
der großangelegten »Geschichte der internationalen Beziehungen« dem Mittelalter ein eige-
ner Band gewidmet; Francois Louis GANSHOF, Le Moyen Äge (Histoire des relations inter-
nationales 1), Paris Ü958.
67 Esther PASCUA ECHEGARAY, Guerra y pacto en el siglo XII. La consolidacion de un sistema
de reinos en Europa Occidental (Biblioteca de historia 31), Madrid 1996. Ausgehend von den
Königreichen der iberischen Hablinsel, in einem zweiten Schritt aber auch England und
Frankreich einbeziehend, versucht Pascua Echegaray aufzuzeigen, daß sich auf der iberi-
schen Halbinsel und in Westeuropa ein System aufeinander bezogener Reiche bereits im
Verlauf des 12. Jahrhunderts ausbildete. Sie geht damit deutlich über den Versuch Kienasts
hinaus, die Entstehung des neuzeitlichen Staatensystems bereits im Spätmittelalter nachzu-
weisen; Walther KIENAST, Die Anfänge des europäischen Staatensystems im späteren Mittel-
alter, in: Historische Zeitschrift 153 (1936), S. 229-271.
39
In Frankreich dagegen hatten Episkopat und Adel der peripheren Territo-
rialhirstentümer ein Interesse daran, die Vorstellung eines umfassenden Ver-
bandes aller /z'&Fs des 7vx FnmcorMTW auszubauen, um die Macht regionaler
Herrschaftsträger einzuschränken und ihnen in der Person des Königs ein
Gegengewicht gegenüberzustellen. Der Bedeutungsgehalt des Titels rax Fmn-
corM??i und der regionalen Bezeichnung Francia dehnte sich daher im Verlauf
des 12. und 13. Jahrhundert mit dem tatsächlichen Herrschaftsgebiet der fran-
zösischen Könige aus% während die Bezeichnung rax AnyUniw und AngFa
stets auf das insulare Reich beschränkt blieb.
In sehr unterschiedlicher Weise prägte das entstehende Nationsbewußt-
sein in ihren Reichen somit die Handlungsspielräume des englischen und des
französischen Königtums. Zu prüfen ist daher, ob und in welcher Form Ar-
gumente nationaler Zugehörigkeit und Abgrenzung aufscheinen und von
welchem Zeitpunkt an sie erkennbar das Verhältnis der Könige zueinander
bestimmten.
Es stellt sich damit zugleich die Frage, wie die im folgenden zu untersu-
chenden Beziehungen der englischen zu den französischen Königen im 12.
und 13. Jahrhundert angemessen zu bezeichnen sind. Der in der anglo-
amerikanischen und französischen Forschung des öfteren gebrauchte Begriff
»internationale« Beziehungen"" ist für den Untersuchungszeitraum in einer
deutschsprachigen Darstellung kaum anwendbar, denn er impliziert im
Deutschen ein vorrangig auf die Nation ausgerichtetes Staats- und Herr-
schaftsverständnis der Könige, das so im 12. und 13. Jahrhundert sicher nicht
gegeben war.
Einen möglichen Ausweg aus der Schwierigkeit, die Beziehungen zweier
mittelalterlicher Herrscher zueinander mit einem angemessenen und doch
handhabbaren Begriff zu belegen, hat unlängst Esther Pascua Echegaray
durch den Vorschlag gewiesen, statt von »internationalen«, »zwischenstaatli-
chen« oder »außenpolitischen« von »interfeudalen« Beziehungen zu spre-
chen, d.h. solchen Beziehungen, die über den herrschaftlich strukturierten
Lehensverband eines Herrn hinausreichten".
65 SCHNEIDMÜLLER 1987; Charles T. WOOD, Regnum Francie. A Problem in Capetian Admini-
strative Usage, in: Traditio 23 (1967), S. 117-147.
66 HOLLISTER 1984, S. 284, unterscheidet zwischen »Norman rebellions« gegen Heinrich I. und
den »international wars« zwischen ihm und Ludwig VI. In den fünfziger Jahren wurde in
der großangelegten »Geschichte der internationalen Beziehungen« dem Mittelalter ein eige-
ner Band gewidmet; Francois Louis GANSHOF, Le Moyen Äge (Histoire des relations inter-
nationales 1), Paris Ü958.
67 Esther PASCUA ECHEGARAY, Guerra y pacto en el siglo XII. La consolidacion de un sistema
de reinos en Europa Occidental (Biblioteca de historia 31), Madrid 1996. Ausgehend von den
Königreichen der iberischen Hablinsel, in einem zweiten Schritt aber auch England und
Frankreich einbeziehend, versucht Pascua Echegaray aufzuzeigen, daß sich auf der iberi-
schen Halbinsel und in Westeuropa ein System aufeinander bezogener Reiche bereits im
Verlauf des 12. Jahrhunderts ausbildete. Sie geht damit deutlich über den Versuch Kienasts
hinaus, die Entstehung des neuzeitlichen Staatensystems bereits im Spätmittelalter nachzu-
weisen; Walther KIENAST, Die Anfänge des europäischen Staatensystems im späteren Mittel-
alter, in: Historische Zeitschrift 153 (1936), S. 229-271.