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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0045

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Einleitung

41

allem der Sicht der geistlichen Verfasser der erhaltenen Texte auf die laikale
Gesellschaft ihrer Zeit. Ob einzelne Herrscher überhaupt selbst ein Interesse
an den Entwicklungen hatten, die unter ihrer Herrschaft vorangetrieben wur-
den, oder nur Beratern freie Hand ließen, ist oft ebensowenig zu entscheiden
wie die Frage, ob diese Berater sich tatsächlich von den Vorstellungen leiten
ließen, mit denen sie ihr Handeln legitimierten, oder ob es ihnen nicht primär
darum ging, ihre eigene Stellung am Hof auszubauen und zu sichern^.
Eine Möglichkeit, dieser Aporie zu entkommen, besteht darin, von indivi-
duellen Handlungsmotivationen zu abstrahieren und nach der Entwicklung
einzelner Begriffe, Symbolhandlungen, Strukturen und Institutionen zu fra-
gen. Die folgende Darstellung schlägt einen anderen Weg ein. Sie unternimmt
den Versuch, die in den erzählenden Quellen und in der urkundlichen Über-
lieferung erkennbar werdenden komplexen Vorstellungen und Deutungska-
tegorien situativ zu analysieren und auf diejenigen Elemente zu reduzieren,
die für die Beteiligten unmittelbar handlungsleitend waren. Die Annahme,
daß die auf gezeigten Kategorien der überlieferten Texte den Vorstellungen
der handelnden Personen entsprachen und diese ihr Verhalten an ihnen aus-
richteten, bleibt letztlich unbeweisbar. Sie gewinnt jedoch an Wahrscheinlich-
keit, wenn sie zur erklären vermag, warum mittelalterlichen Herrschaftsträ-
gern und ihren Beobachtern aus moderner Sicht inkonsequent wirkendes
Verhalten konsistent erscheinen konnte.
Ereignisgeschichtliche und diachrone Analyse miteinander verbindend,
verknüpft die folgende Untersuchung am Beispiel der englisch-französischen
Beziehungen die einleitend skizzierten Forschungskontroversen miteinander.
Gleichzeitig unternimmt sie den Versuch, die Ergebnisse der interdisziplinä-
ren ycn&r und ycy/ijMcer sfudzes für die historische Konfliktforschung, die Ge-
schichte der politischen Freundschaft und die Erforschung symbolischer
Kommunikation im Mittelalter fruchtbar zu machen. Ziel dieses Zugriffs ist
es, die Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit der hochmittelalterlichen Wahr-
nehmungsmuster aufzuzeigen, die erst an der Wende vom Hoch- zum Spät-
mittelalter so vereindeutigt wurden, daß sie die englisch-französischen Bezie-
hungen klar strukturierten, aber zugleich konfliktverschärfend zu wirken be-
gannen.
Dabei wird deutlich werden, daß die in der bisherigen Forschung meist
einseitig hervorgehobene Lehensbeziehung bis zum Ende des 12. Jahrhun-
derts eingebunden blieb in ein komplexes Geflecht von Gesten und Ritualen,

68 Vgl. z.B. zu Heinrich II. von England: Bryce LYON, Henry II. A Non-Victorian Interpretation,
in: Documenting the Past. Essays in Medieval History Presented to George Peddy Cuttino,
hg. v. J. S. Hamilton/Patricia J. Bradley, Wolieboro 1989, S. 21-31; zu Philipp IV. von Frank-
reich: Robert-Henri BAUTIER, Critique diplomatique, commandement des actes et Psycholo-
gie des souverains du Moyen Äge, in: Comptes rendus de l'Academie des Inscriptions et
Beiles Lettres (1978), S. 8-26; Robert-Henri BAUTIER, Diplomatique et histoire politique. Ce
que la critique diplomatique nous apprend sur la personalite de Philippe le Bel, in: Revue hi-
storique 259 (1978), S. 3-27; Jean FA VIER, Philippe le Bel, Paris 1978, S. 2-5 und 39-50; Jean
FA VIER, Les legistes et le gouvernement de Philippe le Bel, in: Journal des savants (1969), S.
92-108; dagegen Joseph Reese STRAYER, The Reign of Philip the Fair, Princeton 1980, S. 32.
 
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