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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0050

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46

Kapitel I

ebenso ob das Element herrschaftlicher Unterordnung in ihnen so dominant
ist, wie der moderne Begriff »Lehenshuldigung« andeutet.
Geschichte ist Konstruktion der Vergangenheit für die Gegenwart aus
Fragen, die nicht im überlieferten Quellenmaterial selbst angelegt sind, son-
dern von jeder Generation neu aus ihrer eigenen Erfahrung heraus entwickelt
werden müssen. An vielen Stellen wird daher im folgenden versucht werden,
die historische Bedingtheit der Wahrnehmung und Darstellung der englisch-
französischen Beziehungen in der Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts
herauszuarbeiten, nicht mit dem Ziel, diese als anachronistisch und deshalb
»falsch« zu erweisen, sondern um zu erklären, warum frühere Historiker an-
dere Fragen stellten und auf diese anderen Fragen andere Antworten fanden.
Dies schließt das Wissen um die Zeitgebundenheit der eigenen Fragestel-
lung ein. Eine Gegenwartsgesellschaft, die sich in eine Vielzahl von Einzel-
kulturen mit jeweils eigenen verhaltensleitenden Codes aufgelöst hat und
kaum noch allgemein verbindliche Referenzrahmen bereitstellt, fordert einen
Blick auf das Mittelalter heraus, der weniger die Wurzeln gegenwärtiger
Ordnungen und Leitvorstellungen in der Vergangenheit sucht als die Alteri-
tät vormoderner Verhältnisse. Mittelalterliche Freundschaft als umfassendes
Konzept personaler, sozialer und politischer Bindung zu begreifen, ist von
besonderem Interesse in einer Umbruchphase, in der die Unterscheidung
zwischen »erlaubten« und »unerlaubten« Formen der Zuneigung zu Personen
des gleichen Geschlechts an sozialer Relevanz verliert und so den Weg frei-
gibt für eine differenzierte Rekonzeptualisierung des gesamten Spektrums
homosozialer und homoaffektiver BeziehungenWenn im folgenden nicht
der Prozeß der Staatswerdung und Nationsbildung beider Reiche und ihre
Abgrenzung gegeneinander im Mittelpunkt der Betrachtung steht, sondern
ihre Überlagerung und gegenseitige Durchdringung, so erwächst dieses In-
teresse aus der Erfahrung der fortschreitenden Auflösung nationalstaatlicher
Souveränität im Spannungsfeld von regionaler Autonomie und supranatio-
nalen Strukturen am Ende des 20. Jahrhunderts.
Auf die Frage, warum es für einen Ethnologen sinnvoll sei, sich extensiv
mit einem Schafdiebstahl in einem Hochtal des marokkanischen Atlasgebir-

76 Stuart MILLER, Men and Friendship, Boston 1983; Robert BRAIN, Friends and Lovers (Ap-
proaches to Anthropology), London 1976; vgl. auch Peter M. Nardi (ed.), Men's Friendships
(Research on Men and Masculinities Series 2), Newbury Park 1992. Eine umfassende Biblio-
graphie neuerer Forschungen zur männlichen Freundschaft bietet Michael FLOOD, The
Men's Bibliography. A Comprehensive Bibliography of Writing on Men, Masculinities and
Sexualities, Canberra *2001 (insb. Punkt 10: Men's Relations with Men, Friendship; auch im
Internet verfügbar unter http://www.anu.edu.au/-all2465/mensbiblio/mensbibliomenu.
html). - Als »homosozial« bezeichnet vor allem die amerikanische Forschung solche Bezie-
hungen und soziale Räume, die wesentlich dadurch (mit)bestimmt sind, daß nur Personen
des gleichen Geschlechts Zutritt zu ihnen haben (z.B. - im traditionellen Verständnis - Ar-
meen, akademische Verbindungen und Burschenschaften, Fußballvereine). Als »homoaffek-
tiv« beschreibt sie die gesamte Bandbreite emotionaler Bindungen zwischen Personen des
gleichen Geschlechts, die nicht ohne weiteres in derselben Form zwischen Personen unter-
schiedlichen Geschlechts möglich wären, ohne jedoch eine »homoerotische« oder »homose-
xuelle« Motivation zu implizieren.
 
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