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Eickels, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Vom inszenierten Konsens zum systematisierten Konflikt: die englisch-französischen Beziehungen und ihre Wahrnehmung an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 10: Stuttgart, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.34724#0292

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288

Kapitel V

sogar eine demütigende Niederlage hinnehmen müssen, als sein Sohn Robert
Kurzhose, der aut Seiten des französischen Königs kämpfte, ihn im Kampf
vom Pferd stieß. Über die näheren Umstände des Friedensschlusses ist nichts
bekannt, doch verzichtete Philipp I. offensichtlich darauf, dem zum engli-
schen König aufgestiegenen normannischen Herzog weitere Unterwerfungs-
gesten abzuverlangen. Bei der Ausstellung der Urkunde für die Kirche St-
Quentin in Beauvais jedenfalls behandelte er ihn demonstrativ als gleichran-
gigen Herrscher: Gleichberechtigt ließ er ihn das Diplom unterfertigen und
mitbesiegeln, statt ihn als einen seiner Getreuen in die Zeugenliste einzurei-
hen. Die gleichlautenden Beglaubigungen (Ego PEJEppMs rcx Enmcomm mca
SM^scnpsz und Ego GhEfcffUMS rcx AngEnun Pica manu safzscnpsz) stehen
graphisch hervorgehoben nebeneinander; jeder Hinweis darauf, daß Wilhelm
zugleich tüzx NorwanMorMm ist, fehlt*.
In der Darstellung Sugers von St-Denis kommt eine Vorstellung zum
Ausdruck, die verbal nur durch die rhetorisch-assoziative Verbindung von
Widersprüchen umschrieben werden kann: »Gleichrangigkeit in der Ünter-
ordnung« . Vom Standpunkt begrifflich-systematischen Denkens, wie es sich
im 12. Jahrhundert entwickelte, erscheint eine solche Vorstellung uneindeutig
und widersprüchlich. Erst ab dem Ende des 12. Jahrhunderts jedoch setzte
sich das von der Scholastik, Legistik und Kanonistik entwickelte Denken in
abstrakten Begriffen und Systemen auch außerhalb der hohen Schulen durch.
Bis zu diesem Zeitpunkt blieb die Praxis politischer Beziehungen geprägt
von rhetorischer Kommunikation. Die zentrale Bedeutung der Rhetorik für
die Herstellung friedlicher Beziehungen zwischen Königen, Völkern und Rei-
chen war den Zeitgenossen durchaus bewußt. Johannes von Salisbury wandte
sich 1159 entschieden gegen die zunehmende Vernachlässigung der cUzjMcnfz'a
und erinnerte die Leser seines McfaUyzcon an die friedenstiftende Funktion
der Beredsamkeit, die so viele hervorragende Städte hervorgebracht, so viele
Reiche ausgesöhnt und verbündet, so viele Völker geeint und durch liebevolle
Zuneigung aneinander gebunden habe (tot cgrcyz'as gcmzz'f zuPcs, Df conczfzauz'f
cf ybc&rarzf rcyna, fof zuzzuzf popzPos cf carz'fafc &pz'nxz'f)\
Mehr noch als verbale Rhetorik ermöglichten Gesten und Rituale die In-
szenierung von Konsens, ohne das Verhältnis der Beteiligten zueinander ein-

2 Regesta Regum Anglo-Normannorum. The Acta of William I. 1066-1087 (ed. Bates), Nr. 28;
vgl. BATES 1989, S. 161 f.; DAVID 1920, S. 27 f.
3 Bereits Jacques Le Gott betonte die Verbindung von Gleichheit und Ungleichheit als tragen-
des Strukturelement mittelalterlicher Ordnungsvorstellungen, etwa in seinen Untersuchun-
gen über die Entstehung der Vorstellung vom Fegefeuer als eines zwischen Himmel und
Hölle stehenden, aber letztlich auf die sichere Erlösung hin ausgerichteten dritten Ortes im
Jenseits: »(Le Purgatoire) rentre ainsi dans ces systemes d'equilibre decentre qui sont si ca-
racteristiques de la mentalite feodale: inegalite dans Legalite qu'on rencontre dans
les modeles contemporains de la vassalite et du mariage oü, dans un univers des egaux, le
vassal est quand meme subordone au seigneur, la femme au mari«; Jacques LEGOFF, La nais-
sance du Purgatoire (Bibliotheque des histoires), Paris 981, S. 17.
4 Johannes Sarisberiensis, Metalogicon (CChrCM 98; ed. Hall), Kap. 1.1, S. 13; vgl. C. Stephen
JAEGER, The Envy of Angels. Cathedral Schools and Social Ideals in Medieval Europe, 950-
1200, Philadelphia 1994, S. 279.
 
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