Bottfried Keller — auch wenn er niemals
einen Vers gesckriehen hätte — sum „Dichter"
und einen Versesckreider wie 2. 8. Bodenstedt
zum „Verfasser" ? Oie persönliche ^.nsckauungs-
kralt einer Seele, die für das ^.uf und Bieder
des Ledens eine so ledendige Sprache findet,
dafs sie andere mit in den 8ann ihrer Anschauung
zieht. Line solche persönliche ^nsckauungskraft
desitzt Bansjakod und anck eine solche Sprache.
lVlan mag seine Ansichten zu kleinlich, fast mehr
kleinstädtisch als hänerisch empknden: jedenfalls
ist die lebendige Sprache ein Zeugnis für die
^.nsckauungskraft seiner Seele. Was wäre es
sonst, das einen hei dem letzten lagebuck „In
der Karthanse" nicht losläfst? IVlan mag sich
hundertmal sagen: Was geht es dich an, dals
der Pfarrer Bansjakod da ohen anf der Karthause
hei Lreidurg seinen lauten Xorn üher allerlei
moderne Dinge herunterschreiht und seine stillen
preuden üher die alten Bäume oder die alten
unverfälschten lVlenscken des Spitals? IVlan legt
das Luch trotzdem nicht aus der Hand, his man
es zu Bnde gelesen hat. Ähnlich wie man z. 8.
des alten Pentanes köstliches „Kriegsgefangen"
liest, trotzdem dem Berrn Kriegsderickterstatter
gar nichts Aufregendes im Feindesland degegnet.
Oie Kraft einer Persönlichkeit heht wie auf allen
andern Bedieten auch aus den Wortemachern
den Dichter heraus. In dem Sinn ist Bans-
jakod ein Dichter, trotzdem er gesteht, dals er
niemals einen Vers Zusammenzimmern könne.
2udem hat er auch regelrechte Erzählungen
gesckriehen, wie den „Steinernen IVlann von
Basle" oder seine „Brzdauern". Ond wenn er
diese Beschichten genau so niedersckrieh, wie
sie ihm erzählt wurden, wenn sie also „wahre
Beschichten" vorstellen, so gut wie gedichtete sind
sie immerhin noch. Ond die „Lrzäklung einer
Schwarzwälderin" hat sogar eine ganz ausge-
zeichnete Brandung. Oie alte Schwarzwälderin
ist in Wirklichkeit die hölzerne Bausierkiste
seines Brolsvaters. Br hat sie pietätvoll Her-
richten und in seinem Studierzimmer aufstellen
lassen. 8s ist sehr fein zu lesen, wie der Dichter
erst immer nur von einer alten Bausgenossin
spricht, die er, der katholische Beistliche und
geschworene Weiherfeind, in seinem Bause
duldet, ^uf einmal, wenn man sich schon üher
das ^.lter der Bausgenossin wundert, ist sie eine
alte Bolzkiste, die nun als gesprächige Weihs-
person anlangt, dem unruhigen Pfarrer die Be-
schichte seines unruhigen Brolsvaters, des Hau-
sierers Xaveri, zu erzählen. Bedendei hält sie
ikm allerlei Vorlesungen üher seine allzu mensch-
lichen Eigenschaften, die sie als intime Bausge-
nossin genau heohachtet hat. Oahei kommt schliess-
lich eine 8elbstcharakteristik heraus, die nickt
leicht noch einmal so ironisch gesckriehen wird:
-1-
„8ckon oft Kake ick dick sagen kören, die
Brofseltern kehrten leidlich und geistig in den
Onkeln wieder. 8ei dir trifft das gänzlich zu,
denn ick Kake auch deine väterlichen Brofseltern
noch wokl gekannt. 80 kannte ick alle, von
denen du deine leidlichen und geistigen Bigen-
sckaften ererdt käst. Von der väterlichen Brols-
mutter hast du deines Beides Länge, das schwer-
mütige, schwarzgallige, pessimistische und ner-
vöse Wesen und die Liede zum 8ingen keim
Alleinsein üderkommen, vom Bselsdeck das
„döse IVlaul", das 8ckimpfen, Kritisieren und
8tickeln und die demokratische ^.der.
Dein Besicht ist die lVlisckung derXüge deiner
mütterlichen Brofseltern. Dein unruhiges, un-
stetes Bin- und Ber-, ^uf- und ^dwandeln ist
ein Brdstück des hausierenden Wälder-Xaveri,
der viele ^akre nirgends eine kleidende 8tätte
hatte. Von ikm ist auch deine 8uckt, zu lesen
und zu studieren und nie mülsig zu sein.
Von seinem Weid, der Luitgard, käst du
deine Oerdkeit und deine oft so unkluge Offen-
heit; denn sie konnte, wenn sie einmal die ^.rme
üdereinander gelegt hatte, jedermann dick und
dünn die Wahrheit sagen und die schönsten
Brodkeitsn macken.
Oats du, wenn du willst, auch liedenswürdig
sein kannst, verdankst du wieder dem Wälder-
Xaveri, der als Bausierer es vortrefflich verstund,
die Leute für sich einzunehmen.
Verscklimmert wurden deine schleckten Ligen-
schäften noch durch deinen Bildungsgang, der dir
alle möglichen Waffen in die Band gad, die
Bigenkeit des Bselsdecks zu vervollkommnen.
Deine von Baus aus schwachen Berven käst
du üderreizt durch vieles l'rinken und Bauchen
in deiner 8tudienzeit, durch üdermälsiges 8tu-
dieren und durch dummes politisieren in den
folgenden fahren.
80 Kist du geworden, der du dist: ein launen-
hafter, aulgeregfer, oft kleinlicher und wider-
wärtiger, selten liedenswürdiger, unruhiger, un-
zufriedener 8ckwätzer und Bäsonneur — und in
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