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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 1
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Schäfer, Wilhelm: Der fremde Hund: eine Anekdote
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Lissauer, Ernst: Feuerwerklegende
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Reisiger, Hans: Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0035

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Feuerwerklegende.

seiner Bedürfnislosigkeit vom äußeren Awang solcher
Verhältnisse frei fühlte.

Und so kam es, daß die listige Weisheit des Dichters
ganz unerwartet auch einen Ausweg aus den inneren
Nöten in den Bereich des Göttlichen zurück fand; denn
wie er mit den Siebenmeilenstiefeln dieser Freiheit
die andern Grenzen seiner menschlichen Gebundenheit
ablief, fand er die Lösung, als ob sie auf ihn wartend
im Kohlenschlamm der Straße gelegen hätte: Daß die
Seele nicht unlöslich an ihr menschliches Bewußtsein
gebunden wäre, daß sie für Augenblicke alle Gedanken-
ketten von Tag und Welt und Gott samt ihrer fremden
Gefühlslast abstreifen und irgendwie doch in das Un-
bedachte zurückschlüpfen könnte, um ihrer eigenen Nöte
fremd wie dieser Hund und also außer sich endlich bei
Gott zu sein.

euerwerklegende.

Von Ernst Lissauer.

Der Erzbischof von Mainz hat ihre Gnaden
Die Herzogin bei Rhein zu sich eingeladen,

Er ehrt sie mit Schauspielen und Galafßten, "st
Es defiliert die kurfürstliche Garde,

Er speist sie mit Trüffel, Spargel, Poularde,
Pauken pauken, Trompeten trompeten,

Jeden Abend steigen Raketen.

Glanz

Stiebt durch die Lüfte in Wirbel und Tanz,
Schimmer wirrt in Bändern und Strähnen,
Schäumt empor in goldenen Fontänen,

Hochauf schwingen

Sich blanke Bälle, die sternicht zerspringen,

Bürger und Kleriker, Frauen und Kinder von Mainz
Freuen sich des fliegenden Scheins.

Nur Melchior Deist, eines Schäfers Sohn, gebürtig

aus Vallendar,

Kaplan zu Mainz kaurn'ein viertel Jahr,

Grämt sich der Festivitäten,

Er kniet am Altar in Gebeten:

„Die Eminenz denkt nur noch Konfekte und Tänze,
Sie hat der Gestühle und' Rosenkränze,

Der Madonna im Dome'hat sie vergessen,

Sie hört keine Beichte, sie hält keine Messen,

Bald wird sie, Hoheit auch recht zu festieren,

Eine Messe der Herzogin zelebrieren."

Seine Lippen flüstern,

Leis durch die Kirche redet ein Knistern.

Einsam seitab, an der Pfeilerwand
Steht Maria wie eine Marquise gekränkt,

Der geistliche Herr ward ungalant,

Leid

Jst ihr die Ehrfurcht und Heiligkeit,

Außen vorm Fenster glitzert der Feuerwerkschein,
Sie denkt: Wär' ich Durchlaucht Maria bei Rhein.

Au löschen die Lichter kommt der Küster,

Er stutzt und lauscht,

Es raunt Gefunkel, es glänzt Geflüster,

Es geht ein Wehn an, es knistert, es rauscht,

Er sieht nach oben,

Da ist die Kuppel droben zerstoben,

Mit Knattern
Flattern

Rings von den Kerzen die heiligen Flammen,

Sie winden
Und binden

Au Bündeln und Sträußen sich leuchtend zusammen,

Aus den Ainpeln fahren

Die ewigen Lichter in klaren

Strahlen und Strähnen aufwärts zum Himmel.

Sie schwärmen hin wie Raketen und Bälle,

Hoch über dem Münster ist Schimmer und Helle,
Glanz

Stiebt durch die Lüfte in Wirbel und Tanz,

Es kreist und es kreuzt ein gülden Getümmel.

O^ugend.

P Von HanS Reisiger.

Christian Holth hatte die große freundliche Stadt
verlassen, in der er fast zwei ganze Jahre geweilt und
in deren alter Hochschule er studiert hatte. Gelbleuch-
tend, schön gegliedert, von Brunnen und Bäumen um-
rauscht: so hatte die Hochburg des Geistes noch am
selben Nachmittag vor ihm gestanden. Die breite, glatte
Straße, die an ihr vorüberführte, hatte gleichsam freund-
schaftlich gedröhnt von dem Hingleiten der blauen Wagen
der elektrischen Bahn, darüber hatte, ebenfalls blau, der
hohe, starke Himmel geleuchtet, und in der Ferne schloß
eine dunkle Säulenhalle mit hohen Bögen die Aussicht.

Lebhaft redende junge Männer waren aus den weiten
Arkaden des weisheitbergenden Gebäudes herausgekom-
men, mit angeregten Mienen. Einige Schüler geist-
licher Anstalten waren dabei in schmalen, schwarzen
Gewändern, rot gegürtet, mit blassen und nicht ganz
aufrichtigen Gesichtern, leiser sprechend als die andern.
Die vielstimmigen Glocken der Türme hatten zu läuten
begonnen, und ihr goldenes Gedröhn war dem Abschied-
nehmenden wie etwas Verschließendes über die innere
Welt gequollen, in der er während dieser letzten Jahre
gelebt hatte.

Mit Jnbrunst gelebt. Er war mit leidenschaftlicher
Sucherlust in die magischen Gründe der Philosophie
eingedrungen, sein Auge war von dem Dämmerlicht
der Erkenntnis beschattet. Er hatte sich mit zitternden
Sinnen und begieriger Willenskraft tief in das Un-
bekannte hineingewagt.

Allmählich aber war ein Gefühl in ihm erwacht, als
vernachlässigte er sein lebendiges Fleisch und Blut, als
empfände er Licht und Luft nicht mehr mit der ernsten
Freude und als hätte er sich der Wirklichkeit abgewandt.

Auch wollte es ihm scheinen, daß irgendwie ctwas
Unverantwortliches darin läge, sich als einzelner Mensch
soweit in Bereiche zu begeben, die tausend anderen aus
brutalen, äußeren Gründen verschlossen waren.
 
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