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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 3
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Gorsleben, Rudolf John: Das Atlilied: aus der Edda übertragen
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Halm, August Otto: Hektor Berlioz' "Trojaner in Karthago"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0122

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DaS Atlilied.

Jhre bärhaften Brüder und die blonden Knaben,

Die arglosen, die sie mit Atli gezeugt;

Jhr Gold zerstreute sie, begabte die Knechte
Mit Silbergerät und mit rötlichen Ringen —

Wie das Schicksal wuchs, so wanderten die Schatze,
Denn es schonte das Weib die Schatzkammern nicht. —

Atli hatte toll und unklug getrunken,

Waffenlos lag er und wehrlos vor Gudrun.

Sonst war sein Spiel wohl gelinder und besser,

Wenn sie sich oft vor den Edeln umfingen,

Jetzt gab sein Blut sie dem Bette zu trinken

Mit helgieriger Hand. — Dann löste sie die Hündlein,

Weckte die Knechte und warf vor das Saaltor

Den Brandscheit, den heißen, zur Rache den Brüdern.

Alle gab sie dem Feuer, die gegangen waren

Mit Atli, die Männer, zu Gunnars Morde;

Die Balken stürzten, die Schatzhauser rauchten
Jn der Budlungenburg. Auch die Schildjungfraucn
verbrannten,

Des Lebens bar, geneigt in die heiße Lohe.

Nun hab ich gesungen! — So fuhr uiemals nach ihr
Ein Weib in die Brünne, die Brüder zu rächen:

Drei Volkskönigen hat sie das Leben gekündigt,

Bevor die Blondhaarige selber dahinsank.

ektor Berlioz'

„Trojaner in Karthago".

Das Verweilen der Trojaner im gastlichen Karthago:
daü ist der Gegenstand des Dramas.

Wie? ein Verweilen, kein Handeln; ein Jdyll,
nur durch den mahnenden Geisterruf: „nach Jtalien!"
des öfteren gestört, ein bloßes Jntermezzo im Gang des
Schicksals?

Es ist schon so. Etwas wie eine Handlung besteht
zwar darin, daß Aeneas, der eben erst den Nöten der
Meerfahrt entronnen in der blühenden Stadt Aufnahme
findet, sich mit seinem Volk erbietet, die Gefahr eines
bedrohlichen Krieges mit den Karthagern zu teilen.
Doch wird das als Handlung nicht stark mitgefühlt und
wirkt also kaum im Dranra mit. Bleibt denniach für das,
was nran Handlung nennen könnte, übrig, daß zum
Schluß des Dramas die Säumenden sich aufraffen, den
Lockungen von Freude rrnd Seligkeit gleichwie dem
eigenen Gewissen widerstehend, aber den Göttern ge-
horsam, sich nach dem gelobten rurd doch so unerwünsch-
ten Land einschiffen, wo ihnen ein Reich zu gründen,
wo ihrenr Führer ruhnrvollen Tod zu finden beschieden ist.

Eine merkwürdige Sache. War es nicht viel dranra-
tischer, dieses Schicksal voll Kraft und Größe, das so
nur wie in einem schwachen Schinrmer und unbestimm-
ten Bild am Horizont erscheint? Wie ungeschickt doch,
statt seiner ein Unschicksal als Stoff zu wählen, eine
fruchtlose, unnütze Gegenwart, die bloß zu taugen scheint,
daß sie Vergangenheit werde, der nichts von tüchtiger
Aukunft entsprießt, die nur ein Vorbestimmtes aufhält
und in Frage stellt!

Aber ich nannte schon den Aauber, von welchem diese
Gegenwart leuchtet. Freude spcndend, mit Seligkeit
erfüllt: durch welche Nützlichkeit brauchte sie sich denn
noch auszuweisen?

Eine Jnsel, aus dem Strom des Schicksals empor-
gehoben, mit Schönheit gesegnet und segnend — welche
Historie dürfte hier richten und auch nur zur Rechenschaft
ziehen? Und die kurze Dauer dieses Glücks — belastet
sie etwa das Glück und nicht vielmehr das Schicksal?
Es gibt eine Art von Gegenwart, der das Entschwinden
nichts anhat, die auch keiner Iukunft pflichtig ist, deren
Dasein kein „dazu" beschwert und zu beschweren braucht,
da sie eigenes Gewicht und Wert besitzt.

Wir schätzen die Episode im Palast und Neich deü
Uranus als eine der schönsten in Spittelers „Olympischem
Frühling", und also in der gesamten epischen Dichtung
überhaupt. Wer nicht nur auf den Stoff im Einzelnen
der Erzählung, sondern auf die Funktion im Ganzen
des künstlerischen Organismus zu sehen vermag, der
bemerkt, daß ihre besondere Würde darin liegt, daß sie
sich gerade dem Schicksal, dem Gang der Erzählung ent-
hebt, daß sie eine vom allgemeinen Awang erempte
Gegenwart auf kurze Aeit fühlen läßt. Nicht weil sie
gar so schön wäre, glauben wir sie zu träumen, sondern
umgekehrt: weil wir sie als wieim Traum verlebt fühlen,
dünkt sie uns so schön. So auch verhält sich's mit dem
Sichversäumen und Verträumen der Trojaner in Kar-
thago, das zu einer Stadt im Märchen- und Feenland
dadurch wird, daß das historisch, schicksalhaft Ungültige
dcr Gegenwart beständig ins Gedächtnis gerufen,
daß stets an einen feindlichen Dualismus, ein ent-
gegenstehendes Verhängnis erinnert wird. Die Gewichte
sind hier anders verteilt als dort in dem angeführten
Epos; hier wurde das Traumland als Schauplatz,
das Nichttun, das Ungeschichtliche, die Unwirksamkeit
als die dramatische Wirklichkeit gewählt, und die anderc,
dre historische Wirklichkeit, die Realität nur als gebietend,
als fordernd und mit denr Rechtsanspruch des Götter-
willens heischend, abcr doch nicht beherrschend, noch
nicht herrschend zugelasscn; sie dient nur der not-
wendigen Distanz; nrit dem Augenblick, wo sie die Herr-
schaft gewinnt, den Aauberbann bricht und die All-
täglichkeit siegen läßt, ist das Dranra zu Ende, ist's mit
Dido vorbei, die Feenkönigin Dido fiel wieder zur Fürstin
von Karthago, welch letzteres auf das Niveau ciner geo-
graphisch und politisch bestimnrbaren Stadt zurücksank:
dies das dramatische Todesurteil über beide, Herrscherin
und Land, mit voller dramatischerZLogik und Wucht
vollzogen in Didos Selbstmord, und gesprochen in ihren
letzten prophetischen Worten. Jhr dramatisches Leben
aber enrpfingen beide mit der Ankunft der Trojaner,
der Helden des Stücks, genauer: der das,Maß Geben-
den. Karthago wird uns, was es ihnen ist: eine glück-
selige Jnsel, und bleibt das keinen Augenblick länger,
als die Fremdlinge dem Bann untertan sind. Der
„trojanische Marsch" umrahmt die Ieit des Bannü und
wird damit ein Hauptfaktor des Dramas.

Möchte jenrand, dem so dessen Jnhalt deutlich ward,
im Ernst noch nach „Handlung" im üblichen Sinn rufen,
also gleich als ob er den Dichter, der ihrer wirklich oder
scheinbar vergaß, damit zu Pflicht und Ordnung zu
 
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