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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 6
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Schmidt, Paul Ferdinand: Bernhard Hoetgers Monumentalplastik im Darmstädter Platanenhain
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0230

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Bernhard Hoetgers Monumentalplastik im Darmstädter Platanenhain.

ihren tiefen symbolischen Gehalt. Die Sprüche kommen
solcher Deutung entgegen, aber auch sie sind in einer
nicht leicht zu entziffernden Schrift gehalten, die der
Flüchtige nur zu leicht übersieht. Alles drangt auf das
reine Wesen des Plastischen hin. Und vielleicht ist dieses
Hoetger noch nie so klar und überzeugend gelungen wie
hier. Es ist nicht die süße Anmut oder die rührende
Schwermut seiner Gestalten, es ist nicht der zarte Rhyth-
mus ihrer Umrißlinien oder die weiche Schwellung
ihres Fleisches und der sichere schlichte Faltenwurf:
alles mitsammen und der beherrschende monumentale
Geist in allem macht es. Man spürt erst allmahlich die
leisen Archaismen des Stils, die von der strengen Archi-
tektonik gesondert werden, und spürt sie als eine heilige
und unausweichliche Bindung. Vollends die Farbigkeit
wird hier im lebhaften Grün der Umgebung und bei
dem porösen Charakter des Kalksteins als etwas Selbst-
verständliches empfunden. Sie tritt mit jener Iurück-
haltung in Verwendung und Farbenskala auf, wie an
archaischen Skulpturen der Griechen und Gotiker und
beweist uns wieder, wie notwendig der Bildnerei die
Hilfe der Bemalung ist. So streng und allgemein die
Typen gehalten sind: in dieser Form haben sie die
Unmittelbarkeit des Lebendigen, und erst mit der Farbe
tritt Seele und Ausdruck in das Gesicht. Dabei kehren
die wenigen Töne von Blau, Fleischsarbe, Braun,
Resedagrün, Ocker in wechselnden Kombinationen überall
wieder und fügen die Gestalten abermals zur Einheit.
Die Farbe ist unmittelbar aus den Stein aufgetragen,
dessen Struktur sie sichtbar läßt, und mit dessen Kalk
sich das neue Bindemittel des „Freskolin" unzerstörbar
verbindet.

Man schwankt, welcher Darstellung man den Preis
monumentaler Schönheit zuerkennen soll; sie wirken
als Gesamtheit erhaben, untrennbar. Jm Brunnen
ist der Schwung der tektonischen Komposition am
stärksten, das Aufsteigen und Gipfeln in der Mitte.
und die rührende Schönheit der Bittgebärden. Jn der
Sterbenden Mutter — mit der Bernhard Hoetger
der Malerin Paula Modersohn, einer großen Bahn-
brecherin der modernen Kunst, ein Denkmal ihres
Schicksals und ihrer Kunst gesetzt hat — rührt der Aus-
druck der Erdentrücktheit in der schönen ruhenden Gestalt
und der Gegensatz zu dem still sitzenden lieblichen Kind-
lein; die Bewegung, welche der Masse doch das schwere
Lasten nimmt und sie transzendental beflügelt. Die
Reliefs aber bergen das größte und schwerste Problem.
Hier ist die Einheit der Jdee in der Gleichartigkeit der
viermal wiederholten Komposition ausgedrückt. Sechs

stehende, paarweis einander zugekehrte Akte und zwischen
ihnen fünfHockende füllen die Fläche dergestalt, daß selbst
die wenigen Awischenräume noch mit Blumen, Vögeln,
Gewandzipfeln usw. gedeckt werden. Es ist ein voll-
kommenes Beleben der ganzen Ebene, ein leises Auf und
Nieder von Erhebungen und Senkungen und ein Fließen
der Körperlinien, das alles an bewegtes Wasser gemahnt.
Und so sind auch diese Menschen völlig unpersönlich
gebildet, als Typen, deren blumenhaftes Elementare
an Südsee-Jnsulaner, an Gauguin und van Ianten
denken läßt. Jhre Köpfe sollen zurücktreten, sie sollen
nur geringe plastische Entwicklung zeigen. Denn aller
Ausdruck liegt in den Gebärden beschlossen, und mit ihnen
hat Hoetger, ohne alle Verkürzungen und mit bloßer
Flächenerstreckung in dem leisen Relief, viermal den
wechselnden Iustand verkörpert, den wir als Schlaf
in dem mohnartig Gesenkten und Träumenden der
Wesen, als Auferstehung in dem Aufwärtsdrängen und
Sehnen aller Gliedmaßen, als Frühling in dem Knospend-
Erwartungsvollen, sich Aufschließenden, und als Leben
in dem elementaren in-sich-Ruhen, im Gleichgewicht
Schwebenden empfinden. Künstlerisch ist dieses vielleicht
die höchste Leistung; dem Laien sicherlich die am schwersten
zugängliche: was aber eher eine Bestärkung als einen
Einwand bedeutet.

An den Eingangspfeilern, welche die geschmeidigen
Bestien mit den anmutsvollen spielenden Kindern auf
ihrem Rücken tragen, stehen zwei Sprüche aus Jn-
schriften des Echn-aton, jenes königlichen Träumers
und Pharaonen, dessen Weisheit und Kunst erst die
jüngste Ieit ans helle Licht gebracht hat, und von dessen
Sonnenverehrung der Hymnus zeugt: „Du erscheinst
schön im Horizonte des Himmels, du lebende Sonne,
die zuerst lebte. Du gehst auf im östlichen Horizont und
füllst die Erde mit deiner Schönheit. Du bist schön und
groß und funkelnd und hoch über der Erde. Deine Strahlen
umarmen die Länder, so viele du geschaffen hast." Am
andern Pfeiler aber — beide tragen an der Jnnenseite
die Namen der Stifter, welche dieses Werk zu ewigem
Ruhm der Welt schenkten — liest man, als Programm
und als Warnung für alle vorlauten Gemüter und
Splitterrichter dieses:

„Du süßer Brunnen für den Dürstenden in der Wüste!
Er ist verschlossen für den, der redet, er ist
offen für den, der schweigt. Kommt der Schwei-
gende, so findet er den Brunnen."

Wer wird der Schweigende nicht sein wollen, der
diesen Brunnen höchster Labung findet.

Paul F. Schmidt.

rio
 
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