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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 10
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Schäfer, Wilhelm: Von der Schweizerischen Landesausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0352

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Von der Schweizcrischen Lnndesausstcllung.

Brügger (Aürich) mit ihrem Mädchenbild darüber geht
noch würdig ein. Das Mittelstück sind die „Politiker von
1847", zwei Soldaten aus deni Sonderbundskrieg, in
denen Buri wieder Dinge aus seiner ersten Aeit auf-
greift, um sie mit der souveranen Hand seiner heutigen
Kunst zu bewältigen. Wie er einen Kopf und nament-
lich eine Hand malt, das ist schon ersten Ranges. Merk-
würdig genug ist seine Rückwendung zum Malerischen in
diesem Bild zwischen den beiden andern (dem Bild
seiner Tochter und dem eines rothaarigen Madchens),
die noch ganz im starken Nebeneinander farbiger Flächen
gehen: man nimmt es wahr, wie eine Naturkraft, die
ihr Gebiet weiten will. Jm selben Saal hängen dann
noch außer Cardinaur: Boß, Brack, Senn: also die-
jenigen Berner Künstler, die man als Hodlerschule an-
sprechen könnte; ihr Gebiet ist die Schweizer Gebirgs-
landschaft, im andern Sinn freilich als die Vedute zur
Aeit der Postkutsche. Mehr als Segantini ist Hodler
darin vorbildlich geworden, wie er die Alpen malte;
bei jenem blieb es stimmungsvoller Naturalismus, der
Stil lag in der Technik, Hodler erst begann eine formale
Auseinandersetzung, die als solche wirklich Schule machen
konnte, da sie ein Prinzip, keine persönliche Technik war.
Drastisch gesagt: er zeigte nicht, wie er die Alpen an-
schaute, sondern wie man sie bildkünstlerisch bewältigen
könnte, und darin fand er mit Recht in der Schweiz
Nachfolge.

Hätte man diese Künstler unter Aunahme einiger
ahnlich gewollten Arbeiten aus andern Sälen, z. B.
der von Mar Burgmeir (Aarau) ergänzt, so wäre
wenigstens noch ein Raum einbeitlich geworden, statt
dessen hat man eine Reihe von Dingen hineingehängt,
die seine Werte — namentlich die von Buri — derartig
diskreditieren, daß man kaum noch an den guten Willen
glauben kann. Mit dem Saal V beginnt dann schon ein
Durcheinander, das jede Vorstellung einer Saaleinheit
aus der Erinnerung unmöglich macht; der Bericht muß
sich an einzelne Werke halten, die aus dem Chaos zu
sprechen versuchen. Da ist zunächst im Saal VI die
„Schneeschmelze" von Emmenegger; im Saal VII
Otto Vautier (Genf) mit drei diskreten und kultivierten
Figurenbildern; dann im Saal VIII die größeren Kom-
positionen von den Baselern Heinrich Müller „Spielende
Frauen", schön in der farbigen Anordnung, und Hermann
Meyer „Kreuzigung", vielleicht etwas zu bunt, wie ein
Karton für ein Glasfenster, wo die Farben besser in-
einander schmölzen. Der Saal X wird durch die Arbeiten
von Vallet und Perrier (beide in Genf) einigermaßen
gehalten. Vallet mit seinen figürlichen Ausschnitten ist
seit seiner goldenen Medaille in München auch bei uns
ziemlich bekannt; weniger Perrier, der sich mit drei
seiner Alpenlandschaften darstellt, die in der Anschauung

wie in der Technik einen eigenartigen und tiefen Künstler
zeigen, dessen Dinge man nicht so leicht wieder vergißt.
Versteckt neben der Tür hängt im gleichen Saal noch
eine kleine Tempera von Conradin (Iürich), eine von
den beiden Unscheinbarkeiten dieser Ausstellung, die ich
mir persönlich als Kunstfreund erwerben würde, wenn ich
könnte. Die andere, um es gleich vorweg zu nehmen,
liegt im Saal XXI in einer Vitrine auf: es ist ein Pastell
von Kreidolf (München), „Schmetterlingsnacht", defsen
seltsame Schönheit nnch bis in den Traum verfolgt.

Jm Saal XI, der nach der Jnschrift „Dekorative
Kunst" enthalten soll und mit allen möglichen Sachen
verstopft ist, hängt ein Bild von Moilliet (Gunten) „Jm
Airkus", das mich ebenso fröhlich stimmte wie die meisten
Besucher, nur anders; wo sie grinsten, hatte ich meine
Helle Freude: ich habe noch nie einen Airkus so glänzend
gemalt gesehen; wer Augen für räumliche Durch-
bildung hat, mbge den Einblick in den Airkus beachten,
und wer sich an der glasklaren Farbe ärgert, möge an-
fangen, die Werte einmal zu wiegen, wie da alles in
Ordnung gebracht ist. Jn Saal XVII ist Valloton
mit drei Bildern in eine Ecke gehängt, wo ihn die
meisten übersehen werden, und im Saal XXI endlich
- das Durcheinander nimmt mit den Saalnummern
zu — hängt das glänzende Bildnis eines alten Fräuleins
von O. W. Roederstein in einer derartigen Umgebung,
daß man kauni noch von mangelndem guten Willen
sprechen kann. Wenn unter ihr nicht Kreidolf stände
(neben den genannten noch ein glänzendes Pastell
„Schnwtterlingsfasching", ein Aquarell „Jesus nimnit
die Sünder an" und einige seiner bekannten Drucke),
wäre das Bildnis wahrscheinlich schon von selber geflohen.

Jn der Bildhauerei ist der überflüssige Durchschnitt
ebenso reichlich wie in der Malerei; außerdem geht da
überall die Erinnerung an Niederhäusern kontrollierend
mit; man hat gefühlt, wieviel Leben aus dem Stein
sprechen kann, und sieht nun erschrocken die leeren Masken
und Gebärden, in denen nur gerade die äußere Form
notdürftig bewältigt ist. Wenn man nachher überzählt,
daß nicht weniger als 164 plastische Arbeiten in der Aus-
stellung herumstehen, obwohl man sich zur Not kaum an
ein Dutzend guter Dinge erinnern kann, stellt man die
Grundfrage einer solchen Ausstellung noch einmal:
warum müssen solche Veranstaltungen Massenmärkte
gleichgültiger und schlechter Dinge sein, statt daß sie dem
ratlosen Laien eine Auswahl der besseren und guten
Werke bieten? Warum muß es auch in der Kunst ein
so zahlloses Proletariat geben? Wenn ihm irgendwie
eine ernste Jury zuleibe geht, regnet es Proteste über
die vermeintliche Ungerechtigkeit; an das Unrecht, das
den guten Werken durch die Masse geschieht, denkt
selten einer. S.
 
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