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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Swarzenski, Georg: Salve crux laudabilis!: zur Ausstellung des Kreuzigungsaltars in der Städtischen Skulpturensammlung zu Frankfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0402

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Abb. 2.

Die Apostel; Seitenfiguren ooin Kreuzignngsaltnr in Frankfurt a. M.

Wesen sieht, sondern gerade das, was ihm mit dem
sonstigen Leben gemein ist, der Kunstwelt des Mittel-
alters hilflos gegenüber, hilfloser jedenfalls, als der
neueren Kunst, in der man bald da bald dort irgend etwas
von seinem bißchen Leben, seinen Eindrücken und
Traumen gespiegelt zu sehen sich schmeichelt.

Der Betrachter steht ihr aber auch hilfloser gegen-
über, als der Kunst des Altertums, für die ihm das
Wort klassisch überliefert ist. Allerdings sind es da
nicht Beziehungen des Lebens, die ihm als Brücke dienen,
aber sein Wissen und seine Bildung ist durchsetzt von
Vorstellungen, die jene Welt antiker Schönheit ihm
vertraut erscheinen lassen, und sein künstlerischer Ge-
schmack ist seit Generationen bereits einseitig und
kanonisch auf sie hin orientiert.

Auch das kunstwissenschaftliche Jnteresse, Asthetik
und Kunstgeschichte haben sich erst seit einer verhalt-
nismaßig kurzen Aeit dem Mittelalter zugewendet.
Nachdem am Anfang des verflossenen Jahrhunderts,
also Jahrzehnte nach Lessing und Winckelmann,
in den Schriften der Romantiker die Liebe und
Begeisterung für mittelalterliche Kunst und mittel-
alterliches Wesen aufgeflammt war, stellte sich aller-
dings die Wissenschaft das Studium der Kunstdenk-
maler des Mittelalters bald zur Aufgabe. Heute steht
die Erforschung und Würdigung mittelalterlicher Kunst
hinter der anderer Epochen kaum noch zurück; aber
was hier auf den verfchlungenen Pfaden wissenschaft-
licher Erkenntnis gewonnen wurde, lebt vorerst noch
unvollkommen in der künstlerischen Anschauung der
Allgemeinheit und ist für ihre Begriffe von künst-
lerischer Schönheit und Gestaltung in keiner Weise
maßgebend.

So wird zu einem Werke wie die Frankfurter
Kreuzigung der moderne Betrachter weder durch eine
Gemeinsamkeit seines tatsachlichen Lebens geführt,

noch durch eine besondere Vertrautheit mit den Lebens-
umstanden, unter denen das Werk entstand, noch auch
durch die Vorliebe für ein bestimmtes konventionelles
Schönheitsgefühl oder durch sein kunstgeschichtliches
Wissen. Trotzdem wird das Werk jeden künstlerisch
Empfindenden heut ebenso ergreifen wie früher, und
es birgt Werte, durch die man es sehr leicht dem Gegen-
wartsmenschen nahe bringen könnte. Die Naturnahe,
den Empfindungsgehalt, die wunderbare Technik kann
man in ihm sogar bewundern, ohne ein Gefühl zu haben
für die Kunst, die in ihm steckt. Seine künstlerischen
Werte wird aber gerade der moderne Künstler emp-
finden, so er in ihm einen Willen zur Form findet,
der der Sehnsucht seines eigenen Schaffens entspricht
und den er in der nordischen Gotik ebenso grüßt, wie
in der archaischen Kunst der östlichen Mittelmeervölker
und in der altbuddhistischen Kunst. Man kann tatsächlich
die Frankfurter Kreuzigung unter sehr verschiedenen
Gesichtspunkten betrachten, ohne das geringste Bewußt-
sein des zeitlichen Abstandes zu haben, der einen von
dem Werke trennt. Man soll aber diesen Abstand haben;
man soll nicht erhabene Werke der Vergangenheit
unter den Gesichtswinkel des Heute, der Aktualitat
und der Modernität rücken; man kann ihnen dadurch
zwar näher kommen, aber niemals bis auf den Grund!
Denn der eigentliche, eigenste Jnhalt des Werkes liegt
nicht in dem Reichtum seiner Beziehungen, sondern
in seinem Sein. Es ist etwas! Es verkörpert ein be-
stimmtes Dasein, das in ihm beschlossen liegt und in
ihm sich erschließt. Und mag diese, seine eigenste Eri-
stenz noch so fühlbar verbunden sein mit dem über
Ieit und Raum hinwegrauschenden Chaos des Seins,—
so liegt sein eigentliches Wesen doch immer in einem
bestimmten Bezirke. So wird man die Frankfurter
Kreuzigungsgruppe schließlich doch nur dann ganz
verstehen können, wenn man sie als ein Stück
 
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