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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Swarzenski, Georg: Salve crux laudabilis!: zur Ausstellung des Kreuzigungsaltars in der Städtischen Skulpturensammlung zu Frankfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0404

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liche Leben bei
der Geifllich-
keit nicht cm-
ders als beim
weltlichenAdel
bestimmt. Die
kostbare Vor-
nehmheit des
Materialeö,
die letzte Fein-
heit der Tech-
nik, der erlese-
ne Geschmack
werden zu ei-
nem wesent-

lichen Bestandteil des Kunstwerkes.

Aber gleichzeitig — je mehr wir uns
der Aeit um 1400 nahern — werden
die kunstoollen Formen von einem
neuen Leben durchweht; eine neue
Sinnlichkeit beseelt und durchglüht
die künstlerische Arbeit; die sichtbare
Welt beginnt sich in Bildern und
Bildwerken, in Teppichen, Gold-
schmiedewerk und Buchmalereien,
wie mit einem Male zu erschließen.

Noch aber ist das überkommene
Stilgefühl so rein und stark, daß es
der Freude an der Wirklichkeit nicht
geopfert wird, und so entsteht an
der Schwelle zweier Aeitalter jene
wunderoolle Kunst, die in unbe-
fangener, ritterlicher Überlegenheit
der Welt gegenübersteht, sie aufzu-
nehmen vermag, ohne sie zu fürch-
ten und ohne sich an sie zu ver-
schwenden.

Diese Kunst ist in Frankreich und
Burgund entstanden; sie ist die
eigentliche Wurzel und der Ur-
sprungsherd der realistischen Kunst
des weiteren 15. Jahrhunderts, Abb. 4i
die — gleichzeitig im Norden und Dom Kreuzigungsaltar
Süden! — bald darauf entsteht. Wie
diese jüngere, realistische Kunst, mit der man gemein-
hin erst die neue Epoche der Kunstgeschichte beginnen
laßt, mit den flandrischen und florentinischen Kauf-
leuten verbunden ist, so ist jene ältere Kunst in der
Kultur der französischen und burgundischen Höfe er-
wachsen, und mit ihrem verfeinerten Leben verwachsen.

Es ist eine höchste Blüte, in ihrer Totalitat und ihren
Spitzen dem ganzen übrigen Europa (einschließlich
Jtalien!) um diese Ieit überlegen. Hier sammelten
sich die besten Kräfte von überallher, hier ließen sie im
gegenseitigen Austausch und unter den größten An-
sprüchen ihr Bestes entstehen. Hier erwuchsen die neuen
künstlerischen Gedanken, hier wurde ihre glücklichste
und entscheidende Lösung gefunden, und von hier aus
wurden die neuen Errungenschaften der künstlerischen
Welt des Abendlandes mitgeteilt. Es handelt sich hier
nicht um eine Schule oder Werkstatt mit schulmäßi-

gen Eigenhei-
ten, sondern
um ein Iu-
sammenströ-
men vonKräf-
ten und Wer-
ten,derenEin-
zelkontcn wir
nicht kennen,
deren Gesamt-
summe aber
deutlich vor
unssteht. Und
wie wir den
Anteil der ein-
zelncn Jndividualitäten an dem
Iustandekommen dieser Kunst
nicht berechnen können, so ist auch
der Anteil der lokalen Schulen,
ja selbst der Antcil der Nationen
nicht festzustellen. Unter den
Künstlern, die der Herzog von
Berry beschäftigt, finden >vir
Franzosen, Niederländer, Deut-
sche, Jtaliener, Spanier; sie wer-
den von dort an andere Stätten
künstlerischer Untcrnehmungslust —
geistlicher oder weltlicher Art —
gerufen, und so findet man, bald
da, bald dort, in Frankreich nicht
nur, sondern auch in Flandern,
am Rhein, in Süddeutschland, in
Böhmen, in Spanien und in den
kleinen italienischen Fürstensitzen
Werke, die vom Geiste dieser
Kunst geformt und beseelt sind.
Und wenn die Kunstgeschichte sich
auch noch so sehr bemüht, die
lokaten Produktionsstätten der Ieit
in ihreni Sonderdasein und in
ihren Beziehungen festzustellen, so
sind doch die neuen künstlerischen
Jdeen der Ieit nicht in diesen
Betrieben erwachsen, und die ent-
scheidenden Meister nicht an sie gebunden. Nur an den
Mängeln der Überlieferung und der Lückenhaftigkeit
des Materiales liegt es, wenn wir die Fäden, durch die
jedes hervorragende Werk dieser Art mit dem Ientrum
der Entwicklung verbunden ist, nicht mehr genau ver-
folgen können.

Jn diesem internationalen Kunstkreise wurzelt die
Frankfurter Kreuzigung, und ihr Meister ist ein Künstler
dieses Schlages. Seine Schaffenszeit liegt bereits
innerhalb der durch die Tätigkeit der van Eyck ge-
gebenen Grenzen, aber sein eleganter Geschmack ist
etwas altertümlicher, seine Gesinnung mehr auf das
Jdeale, sein Empsinden mehr auf das Iarte gerichtet, —
ganz entsprechend seiner Verbindung mit der vor-
ausgehenden französisch-burgundischen Kunst. Jn der
niederländischen Plastik findet seine Kunst keine Par-
allelen, und wenn man sich vielfach an Eyckische Malerei

Chrisrus am Kreuze.
in Frankfurt a. M.

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