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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Swarzenski, Georg: Salve crux laudabilis!: zur Ausstellung des Kreuzigungsaltars in der Städtischen Skulpturensammlung zu Frankfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0406

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8a1ve orux lauclAdilis!

links die trnuernden Marien mit dem blinden Longinus,
auf der anderen Seite der Hauptmann von Kapernaum
mit seinem Sohne und der Mann mit dem Essigschwamm.
Beide Gruppen sind als solche wundervoll geformt,
die eine von reichsten, plastischen Kontrasten bestimmH
die andere von dem stillsten Wohlklang und einer Jnnig-
keit des Gesühls, die die Erinnerung an Fra Angelico
wachruft. Jn allem ist eine Abgemessenheit des Aus-
drucks zu beobachten, die für ein deutsches Werk erstaun-
lich ist.

An den Seiten stehen die zwölf Apostest ohne Be-
ziehung zur Handlung, als Aeugen gleichsam und
Vermittler zur Menschheit. Jeder ist als Typus gefaßt,
ebenso geschlossen als Charakter, wie in seiner bildhaften
Erscheinung: Ein Chorus, in dem die Spainnmg der
eigentlichen Szene ausklingt, sie rhythmisch begleitet,
vergleichbar dem Chor im antiken Drama, oder besser
denr Schlußchoral einer großen Bachschen Kantatc,
der nach dem Gesang der einzelnen Stimmen einsetzt

und in dem das, was diese als Träger eines symboli-
schen Vorganges verkünden, volltönend ausklingt. Jn
diesen Apostelfiguren verkörpert sich schließlich das Jdeal
der mittelalterlichen Gewandfigur in seiner letzten Fas-
sung. Das Gewand, meisterhaft gegliedert und durch-
geführt, wird zum unmittelbaren Ausdrucksniittel; es
entwickelt selbständig seine Rhythmen, die dahinwogen
wie Melodien und das ganze Werk unispielen, — ganz
anders als die klassisch-antike Gewandfigur, in der
das Gewand nur dem Ausdruck des Körpers dient.
Nichts interessanter, als sich klarzumachen, daß gerade
die Gewandfigur, in der das Mittelalter sich sein
eigenstes Kunstmittel schuf, dasjenige ist, was in einer
niemalS unterbrochenen Tradition aus der Antike dem
Niittelalter überkommen ist, — nicht in dem eruptiven
Prozeß einer „Renaissance", sondern als ein ungeheures
Erbe, das ständig wirkte, — nicht „weil es vor tausend
Jahren w ar", sondern „weil es n a ch tausend Jahren ist"!

April 1914. Georg Swarzenski.

Abb. 6. Der böse Schächer. Vom Kreuzrgungsaltar in Frankfurt a. M.

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