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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 12
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Swarzenski, Georg: Eine deutsch-italische Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0409

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Abl'. 9. Apostelkopf.

Vom Kreuzigungsaltar in Frankfurt a. M.

geistvolle Kenner der Kochkunst) an gelesener Stelle
betont hatte. Die schöne Geschichte von dem deutschen
Bildhauer hat damals mehr den romantischen Dichter
als die Forscher gereizt, die erst in neuerer -Zeit ihren
Scharfsinn an ihr versucht haben. Sie ist dennoch wahr,
- unbezweifelt und unbezweiselbar. Was in ihr ro-
mantisch anmutet, erscheint nicht einmal gar so außer-
ordentlich in der schicksalsschwereren Wirklichkeit des
damaligen Lebens. Gerade des Künstlers Eintritt in
ein Kloster hat in jencr Aeit, i» der die irdischen Ver-
hältnisse der Menfchen schwankender waren als ihre
Frömmigkeit, eine fast typische Bedeutung. Auf dem
engen Gebiet der Künstlergeschichte bietet eine besonders
nahe liegende Parallele der große Claus Sluter, der
drei Wochen nach dem Tode Philipps des Kühnen von
Burgund, seines vornehmsten Auftraggebers, für den
Rest seiner Tage in die Kartause von Dijon sich zurück-
zieht. Es ist die mittelalterliche Form der Lebens-
versicherung.

Man braucht Ghibertis Bericht von dem deutschen
Meister nicht des fernen Marchenduftes zu entkleiden,
um ihn in seiner bedingungslosen Wahrhaftigkeit zu
verstehen. Er beruht, wie der ganze Teil von
Ghibertis Schrift, in dem er enthalten ist, auf Erleb-
nis und Anschauung, und je genauer man ihn prüft,
desto reicher werden die Tatsachen, die ihm zu ent-
nehmen sind.

Ghiberti nennt den uns unbekannten Deutschen als
den fünften und letzten der Bildhauer, die er unmittelbar
vor der Schilderung seines eigenen Lebens und Schaffens
erwahnt. Die vier anderen sind uns bekannt: Nicola,
Giovanni und Andrea Pisano, sowie Orcagna. (Letzterer
war zugleich Maler und ist unter diesen besprochen.)
Diese vier sind auch für uns die größten künstlcrifchen
Persönlichkeiten, die die italienische Plastik vor Ghiberti
aufzuweisen hat. Von dem fünften kann man nur sagen,
daß wenigstens Ghiberti ihn jenen größten Meistern

Künstler in der Not seines
Herzens die Eitelkeit irdi-
schen Tuns beklagt und sich
an seinen Herrgott wendet.
Wie er alles aufgibt und in
ein Kloster, auf einem Berge
gelegen, sich zurückzieht. Wie
er dort in Demut alt wird,
junge Künstler unterweist
und fördert, und schließlich
wie ein Weiser und Heiliger
stirbt.

Diese Geschichte ist so
schön, daß sie Ädalbert von
Chamisso im Jahre 1833 zu
einem Gedicht gestaltet hat,
nachdem im vorhbrgehenden
Jahre in Schorns deutschem
Vasari auf Ghibertis Kom-
mentare hingewiesen war,
deren Bedeutung schon frü-
her K. F. von Rumohr, der
genialc Begründer der kriti-
schen Kunstgeschichte (und

Mb. lO. Kopf von Ghibertis ersler Bronzetür,
Florenz. (Nach Abguß.)

zur Seite stellte, ihn also für ungefahr ihnen ebenbürtig
gehalten haben muß.

Das bedeutet angesichts eines uns Unbekannten
(uns, die wir doch auf eine fast hundertjahrige plan-
maßige Aufarbeitung der alten Kunst zurückblicken, und
folglich alles zu wissen glauben!) schon etwas ganz
Ungeheuerliches. Bei näherem Ausehen steigert es sich
aber noch in der ganzen Schwere feiner Bedeutung:
Gerade von dem uns Unbekannten spricht Ghiberti
am ausführlichsten. Viel ausführlicher, als von den
anderen Bildhauern, von denen doch selbst unsereiner
manches zu sagen wüßte! Man würde hier wirklich
mißtrauisch werden, wenn es sich nicht so einfach erklärte:
Die andern lebten geraume -Zeit v or Ghiberti, der Un-
bekannte lebte noch zu seiner Aeit. Von jenen, seinen
älteren künstlerischen Ahnen sagt er über den ältesten,
Nicola Pisano, am wenigsten; er erwahnt ihn nur
ganz kurz. Wenn er von dem jüngsten, dessen Leben
sich noch mit dem seinen kreuzte, am meisten sagt,
fo entspricht das nur der Tatsache, daß Ghiberti in seiner
ganzen Schrift Erlebtes und Geschautes berichtet.
Er sagt hier am meisten, weil er hier tatsächlich am meisten
wußte — wissen mußte!

Also auf besonders eingehender Kenntnis beruht
Ghibertis Urteil, und als solches wirkt es noch auffälliger,
wenn man bedenkt, daß es sich unr einen Deutschen
handelt! Denn der Kölner hat felbstverständlich in feiner
deutschen, gotischen Weise gearbeitet, und Ghiberti
ist schließlich doch immer ein Florentiner der Frührenais-
sance! Die ihm fremde Kunst diefes unbekannten Kölner
Bildhauers muß in der Tat etwas ganz Erstaunliches
gewesen sein, wenn Ghiberti, der abgesehen von seinem
eigenen künstlerischen Charakter ein begeisterter Kenner
und Sammler griechischer Antiken war, ihn seinen
größten italienischen Vorläufern anreiht!

Einen Einwand könnte man machen. Darf man
von einem subjektiven Künstlerurteil auf den objektiven


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