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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0451

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Rebundus.

Der Klang der Psalterglocke hallte. Hallte so seltsam
an diesem Morgen, als ob der wissend des Wunders
sei, der den Strang riß. Hallte müde und todestraurig.

Das Gebet begann. Die Chöre wogten gegen sich
wie gleitende Wellen, ruhig, wie im Spiel, ties wie
ferner Gesang, weltlos, wie Geisterstimmen.

Und ich lallte mit, wie einer der die Worte vergaß,
der die Weise allein kennt. Jch sah nichts mehr als den
todbestimmten Greis vor mir, der da aufgelöst lag, in
seiner Gewißheit die Hande in übermenschlicher Not
preßte und in der Glut seiner Jnbrunst die Gebete für
sich sprach, laut und um alles unbekümmert. Als es
zu Ende war, führten sie ihn fort, sie trugen ihn fast, er
hatte alle Leibeskraft verloren. „Laßt mich nicht einsam
hinsterben", murmelte er. Sie betteten ihn in seiner
Zelle, gaben ihm Segen und Sakrament. Jmmer
wachten ihrer bei ihm. So starb er ruhig und reich
getröstet.

Jch nun hielt mich derweil in meiner Stille auf,
rannte umher, wühlte und bohrte in meiner Tat und
ertrug stöhnend die Marter meiner Vorwürfe. Die
Stirn schlug ich mir vor Grauen und weinte.

Als der alte Mönch begraben ward, legte ich mich
und blieb lange einsam, keines Menschen Blick und
Stimme ertrug ich.

Tage vergingen, bis ich mich beruhigte. Jch begann,
ich folgte der Regel sorgsamer, treuer mühte ich mich
nach dem Gebot, die Tat zu sühnen. Jch sehnte mich,
durch frühen Tod den Frevel zu tilgen, und hastete
jeden Morgen nach meinem Chorpult, ob denn die Todes-
rose daläge. Aber sie lag nicht da.

Und ich zehrte ab, verlor die Jugend des Leibes

nnd inracb laut mit mir.

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wie ein Krgnker.

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mich nach dem
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in mir, morgen,

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^ße Rose.
hrecklich an, den
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:r mich, wie ein
im Taumel tut.
!>arf sie auf den

Stand ehern still, mit festem Antlitz, wie mit ge-
frorenem Gefühl, die Hande in den Armen, preßte mein
Herz, bändigte meinen Atem, hielt meine Augen an.
Und wartete grauenhaft.

Die Brüder kamen. Stumm und ruhig gingen sie
an ihre gewohntön Plätze, alte und junge, schweigsame
und beredte, standen nebeneinander und harrten, bis
das Psalterglöcklein schallte und der Gefang begann.

Auch der Dekan kam. Würdig und männlich kam er.

Als er auf seinen Platz trat, funkelten und flammten
mein Augen nach ihm, wie in der Ohnmacht stand ich,
lauernd, daß er aufschrie in der Tod'esangst.

Er aber stand ruhig da und wartete, bis die Glocke
tönte. Und stiinmte den Psalter an. Dann erst sah er
die weiße Rose, als er sich bückte. Er zuckte ein wenig.
Dann nahm er die Botschaft des Todes auf und hob sie
an seinen Mund. Er küßte sie.

Niemand als die Näherstehenden hatten es bemerkt.
Wie ein Flüstern ging es durch die Schar, wie ein kurzes
ängstliches Verwirren.

Aber der Gesang verhallte nicht. Stolz und besonnen
leitete ihn der Todbestimmte bis zum letzten Wort.
Und schritt als letzter aus dem Chor, er betrat es nicht
mehr, er krankte am selben Tage und starb.

Gemehrt war meine Not, nicht gestillt. Ruhlos
war ich bei Tage, schlaflos lag ich die Nächte durch,
gehetzt von Träumen. Sobald die Dunkelheit zerrann
und der weiße Tag aufschimmerte, raste ich auf und
ruhte nicht, bis ich an mein Chorpult kam.

Und die Aeit ging hin, sie schlug mich und fraß sehr
an mir.

Die nlir befahlen, be'ahen mich forschlich, sie küm-
merten sich um mein Wohl. „Bruder Rebundus,"
sagten sie mild, „was denn ist es, du magerst so, drückt
dich tiefbohrende Qual?" Jch nickte. Es gab ihrer,
die mieden mich scheu, sie tuschelten über mich. „Bruder
Rebundus sündigt geheim," sagten sie und ekelten sich.

Aber der mein Herzbruder war in allen Dingen,
Bruder Ruotbert, hielt immer treu zu mir. Jung war
er und von guter Ärt. Oft heiterte er mich, ging mit
mir und rührte an mich mit seiner warmherzigen
Rede. Jch weinte neben ihm her, doch gestand ich
ihm nicht.

Und er war nach mir der Nächste unter den Brüdern,
er psalmierte neben mir. Oft wenn ich die Lust seiner
Stimme hörte, plante ich und nahm mir fest vor, ihm
zu gestehen, in sein mildes Herz mein Leid, das un-
ermeßliche, zu gießen. Doch mir graute, denn ich sorgte,
daß er nüch verriete, er war ehrsam und eiferte für
die Sitte in allem. Jch liebte ihn, je mehr ich versank, ich
hielt mich an ihn allein, er allein war mir das Uberlei
der blühenden Welt.

Und einst, morgens, verspatete ich mich in meiner
schlaflosen Unruhe, sprang und kam, da schon alle Brüder
zum Chorgebet versammelt waren, nur der nicht, der
neben mir stand, Bruder Nuotbert, mein Herzbruder,
er kam dicht nach nür.

Und die weiße Rose lag wieder auf meinem Chor-
pult. Ich regte nüch nicht. Wie eine selbstlose Kraft
war ich, ich nahm sie, indem ich mich aufstellte, und schob
sie beiseite auf meines Herzbruders Platz.
 
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