Mer Sachen von Robert Walser.
Em Bach, der zu des Träumers Füßen sich durch das
Gras schlängelte, gab artige glricksende Melodien zum
besten. Einmal schartte ein Fuchs aus dem gegenüber-
liegenden Waldrand heraus und floh, als der Mensch
im Gras sich regte, in weiten Satzen hinweg. Das ging
so, bis es Nachmittag und Abend wurde, wo das Abend-
rot sich zeigte und die Singvögel anfingen wunderbar
wehmütig und süß zu singen. Der Bursche lauschte.
Es wollte ihn ein Bangen besuchen. Ein Weh wollte
ihn beschleichen. Aber er war auf den Besuch gefaßt,
und da tat er, als merke er nichts davon. Der Ahend
mit seinen Tönen und Farben und Düften sank einer
Frau in die Arme. Die Frau war die Nacht, und diese
herrschte nun. Der Bursche blieb aber ganz ruhig
liegen. Das Gras war weich. Es kam ihm wie ein
Bett vor, eben recht zum Schlafen. Alles war finster
geworden, und kein Sterbenslaut regte sich mehr. Stille,
Stille. Nichts war mehr zu unterscheiden. O da schlief
der Waldmensch ein, und ungestörter hat nie ein junger
oder alter Mensch geschlafen. Schlief fleißig die ganze
Nacht durch, und als er erwachte, war es schöner, heller,
gütiger, milder Morgen.
Der Pole.
Jn einem Dorf, nahe an der Grenze von Galizien,
in einer Gegend also, wo deutsche, russische und polnische
Elemente sich berühren, erlebte ich eines Nachts, es
war im Winter und das flache Land war mit Schnee
bedeckt, eine Wirtshausszene, die mir lebhaft in Er-
innerung geblieben ist, und die ich darum gern auf-
zeichnen möchte. Jch und ein paar Burschen hatten
uns zu einem tapferen Gelage im miserablen, düsteren
und rauberhüttenähnlichen Gasthaus eingefunden. Das
Bier, wenn ich so zurückdenke, war entsetzlich schlecht
und das Gastzimmer, dortig herrschender Volksarmut
entsprechend, schrecklich unsauber; doch das hinderte uns
junge vergnügliche Leute nicht, wacker zu trinken und
lustig zu singen und zu johlen. Nach und nach kamen
noch andere Kerle, ein Schreiner, Maurer, und dann
war ja vor allen Dingen ein Bursche da, den sie August
nannten, ein junger Stallbursche aus dem gräflicheu
Schloß, welches mit seinen stolzen, herrischen Türmen
unfern in der Winternacht lag. Der junge Pole, daS
war er, sing, da er schon mehrere Gläser von dem
abscheulichen Aeug getrunken hatte, zu der Musik, die
ein Anderer bereitwillig zum besten gab, zu tanzen
an, und er tanzte auf polnische Weise, wobei er über
das ganze Gesicht lachte. Überaus anmutig sah es aus,
wie der junge Tänzer in dem wüsten, von aller Grazie
und von allem Edelsinn so weit entfernten Lokal die
Grazie und das artige Benehmen verkörperte, dadurch,
daß er sich bald, wie vor einer unsichtbaren Dame, ver-
neigte und bald wieder sich stolz in die Brust warf, als
stehe er einem Gegner auf dem Kampfplatz gegenüber.
Er spreizte seine bestiefelten jungen Beine nach dem
Takte der Musik, bog wieder das Knie, und mit Arm
und Hand führte er sehr manierliche Bewegungen aus.
Von Ieit zu Ieit wollte er, in dein Rausch, in dem er
sich befand, wild und ungebärdig werden, doch wie
wenn er wieder seinen strengen Herrn und Meister vor
sich sehe, bändigte er die Wildheit und beugte sich unter
die guten und schönen Formen, derartig, daß es wie die
Selbstzucht aussah und daß eS duftete wie nach höherer
Erkenntnis. Das Bild, das der junge hübsche Mensch
darbot, indenr er solchermaßen mit der Ausschweifung
kämpfte, ist mir unvergeßlich geblicben. Gibt es auf
Erden doch nichts Besseres und Erquicklicheres zu sehen
als den Kampf, den der Mensch kampft gegcn die lln-
tugenden, die in ihm schlummern, als den stolzen Streit
des Menschen mit sich selber. Der Bursche hatte nun
ausgetanzt und setzte sich wieder zu dem Volke der
Johlenden, Schreienden und Trinkenden. Der, der
die Handharfe gespielt hatte, spielte aber munter weiter,
und da war es mir, als müßten die Töne von dem
Jnstrument in der dicken Rauchluft des Iimmers hängen
und kleben bleiben, so garstig voll von Dunst und Rauch
war die jämmerliche Stube. Jmmcr mehr wurde
getobt und getrunken. Da mit einem Male, wie ein
Blitz aus deni Himnrel, war Streit unter den Leuten,
und in eines der Kerle Faust zückte ein Messer. „Wollt
ihr mir so kommen, ihr Bösewichte? Wartet nur!"
schrie voller sonderbarer Autorität die Wirtin. „Wenn
ihr raufen wollt, so macht das draußen auf der Straße
initeinander ab!" Die ganze Stube schien betrunke».
Alles drehte sich. Es war eine höllische Szene. Einige
von uns gingen in die Nacht hinaus, ich mit ihnen.
Wie schön war die Nacht mit ihrem Schnee und mit
ihreni silbernen, hohen, großen Mond ani Himmel.
Es zwang mich hinaufzuschauen zum Mond und zu
den süßen Sternen.
Der Doktor.
Eines Tages, in der heißen Mittagssonne, schon
viele inhaltreiche Jahre sind seither vergangen, sah ich,
noch erinnere ich mich dessen deutlich, auf dem menschen-
belebten Platz, auf deni ich stand, aus der Masse von
vielerlei unbedeutenden Leuten, welche er gewissermaßen
mit seiner sonderbaren Erscheinung überragte, einen
Mann auftauchen, der ganz in edles, schönes, feierliches
Schwarz gekleidet war, eine Art Doktorhut aus dem
Kopfe hatte, und einen eleganten Spazierstock beinahe
gravitätisch in der Hand trug. Jch nannte den Mann
ohne weiteres für mich im stillen einen Doktor der
schönen Literatur, und ich darf sagen, er faszinierte mich.
Alle übrigen Menschen, verglichen mit ihni, erschienen
mir platt, unfein und gedankenlos, so, als habe sich
kein einziger von ihnen je bemüht, sich Rechenschaft
darüber abzulegen, warum und wozu er eigentlich lebe.
Mit meinen Augen verfolgte ich den seltsanien und in
gewissem Sinne abenteuerlichen Mann, der einem
Geistlichen oder fast besser noch einem vermummten
Fürsten glich in der Lässigkeit, niit welcher er seines
Weges ging. Ein Aauberer schien er zu sein, denn er
trug eine unzweideutige Verachtung gegenübcr seiner
Umgebung zur Schau, und zwar so, als fühle er sich
genötigt, sich selber gering zu achten, deshalb, weil er
unter keinen besseren Leuten lebe. Eine Brille ver-
unzierte nicht, sondern zierte und schmückte sein bleiches,
gedankenvolles Gesicht. Das Gesicht schien ohne die
Brille nicht sein Gesicht zu sein. Edel, gleich eineni Ge-
sandten, der gewöhnt ist, an königlichen und kaiserlichen
Höfen zu verkehren, schritt die schlanke, leicht vornüber
ioi
Em Bach, der zu des Träumers Füßen sich durch das
Gras schlängelte, gab artige glricksende Melodien zum
besten. Einmal schartte ein Fuchs aus dem gegenüber-
liegenden Waldrand heraus und floh, als der Mensch
im Gras sich regte, in weiten Satzen hinweg. Das ging
so, bis es Nachmittag und Abend wurde, wo das Abend-
rot sich zeigte und die Singvögel anfingen wunderbar
wehmütig und süß zu singen. Der Bursche lauschte.
Es wollte ihn ein Bangen besuchen. Ein Weh wollte
ihn beschleichen. Aber er war auf den Besuch gefaßt,
und da tat er, als merke er nichts davon. Der Ahend
mit seinen Tönen und Farben und Düften sank einer
Frau in die Arme. Die Frau war die Nacht, und diese
herrschte nun. Der Bursche blieb aber ganz ruhig
liegen. Das Gras war weich. Es kam ihm wie ein
Bett vor, eben recht zum Schlafen. Alles war finster
geworden, und kein Sterbenslaut regte sich mehr. Stille,
Stille. Nichts war mehr zu unterscheiden. O da schlief
der Waldmensch ein, und ungestörter hat nie ein junger
oder alter Mensch geschlafen. Schlief fleißig die ganze
Nacht durch, und als er erwachte, war es schöner, heller,
gütiger, milder Morgen.
Der Pole.
Jn einem Dorf, nahe an der Grenze von Galizien,
in einer Gegend also, wo deutsche, russische und polnische
Elemente sich berühren, erlebte ich eines Nachts, es
war im Winter und das flache Land war mit Schnee
bedeckt, eine Wirtshausszene, die mir lebhaft in Er-
innerung geblieben ist, und die ich darum gern auf-
zeichnen möchte. Jch und ein paar Burschen hatten
uns zu einem tapferen Gelage im miserablen, düsteren
und rauberhüttenähnlichen Gasthaus eingefunden. Das
Bier, wenn ich so zurückdenke, war entsetzlich schlecht
und das Gastzimmer, dortig herrschender Volksarmut
entsprechend, schrecklich unsauber; doch das hinderte uns
junge vergnügliche Leute nicht, wacker zu trinken und
lustig zu singen und zu johlen. Nach und nach kamen
noch andere Kerle, ein Schreiner, Maurer, und dann
war ja vor allen Dingen ein Bursche da, den sie August
nannten, ein junger Stallbursche aus dem gräflicheu
Schloß, welches mit seinen stolzen, herrischen Türmen
unfern in der Winternacht lag. Der junge Pole, daS
war er, sing, da er schon mehrere Gläser von dem
abscheulichen Aeug getrunken hatte, zu der Musik, die
ein Anderer bereitwillig zum besten gab, zu tanzen
an, und er tanzte auf polnische Weise, wobei er über
das ganze Gesicht lachte. Überaus anmutig sah es aus,
wie der junge Tänzer in dem wüsten, von aller Grazie
und von allem Edelsinn so weit entfernten Lokal die
Grazie und das artige Benehmen verkörperte, dadurch,
daß er sich bald, wie vor einer unsichtbaren Dame, ver-
neigte und bald wieder sich stolz in die Brust warf, als
stehe er einem Gegner auf dem Kampfplatz gegenüber.
Er spreizte seine bestiefelten jungen Beine nach dem
Takte der Musik, bog wieder das Knie, und mit Arm
und Hand führte er sehr manierliche Bewegungen aus.
Von Ieit zu Ieit wollte er, in dein Rausch, in dem er
sich befand, wild und ungebärdig werden, doch wie
wenn er wieder seinen strengen Herrn und Meister vor
sich sehe, bändigte er die Wildheit und beugte sich unter
die guten und schönen Formen, derartig, daß es wie die
Selbstzucht aussah und daß eS duftete wie nach höherer
Erkenntnis. Das Bild, das der junge hübsche Mensch
darbot, indenr er solchermaßen mit der Ausschweifung
kämpfte, ist mir unvergeßlich geblicben. Gibt es auf
Erden doch nichts Besseres und Erquicklicheres zu sehen
als den Kampf, den der Mensch kampft gegcn die lln-
tugenden, die in ihm schlummern, als den stolzen Streit
des Menschen mit sich selber. Der Bursche hatte nun
ausgetanzt und setzte sich wieder zu dem Volke der
Johlenden, Schreienden und Trinkenden. Der, der
die Handharfe gespielt hatte, spielte aber munter weiter,
und da war es mir, als müßten die Töne von dem
Jnstrument in der dicken Rauchluft des Iimmers hängen
und kleben bleiben, so garstig voll von Dunst und Rauch
war die jämmerliche Stube. Jmmcr mehr wurde
getobt und getrunken. Da mit einem Male, wie ein
Blitz aus deni Himnrel, war Streit unter den Leuten,
und in eines der Kerle Faust zückte ein Messer. „Wollt
ihr mir so kommen, ihr Bösewichte? Wartet nur!"
schrie voller sonderbarer Autorität die Wirtin. „Wenn
ihr raufen wollt, so macht das draußen auf der Straße
initeinander ab!" Die ganze Stube schien betrunke».
Alles drehte sich. Es war eine höllische Szene. Einige
von uns gingen in die Nacht hinaus, ich mit ihnen.
Wie schön war die Nacht mit ihrem Schnee und mit
ihreni silbernen, hohen, großen Mond ani Himmel.
Es zwang mich hinaufzuschauen zum Mond und zu
den süßen Sternen.
Der Doktor.
Eines Tages, in der heißen Mittagssonne, schon
viele inhaltreiche Jahre sind seither vergangen, sah ich,
noch erinnere ich mich dessen deutlich, auf dem menschen-
belebten Platz, auf deni ich stand, aus der Masse von
vielerlei unbedeutenden Leuten, welche er gewissermaßen
mit seiner sonderbaren Erscheinung überragte, einen
Mann auftauchen, der ganz in edles, schönes, feierliches
Schwarz gekleidet war, eine Art Doktorhut aus dem
Kopfe hatte, und einen eleganten Spazierstock beinahe
gravitätisch in der Hand trug. Jch nannte den Mann
ohne weiteres für mich im stillen einen Doktor der
schönen Literatur, und ich darf sagen, er faszinierte mich.
Alle übrigen Menschen, verglichen mit ihni, erschienen
mir platt, unfein und gedankenlos, so, als habe sich
kein einziger von ihnen je bemüht, sich Rechenschaft
darüber abzulegen, warum und wozu er eigentlich lebe.
Mit meinen Augen verfolgte ich den seltsanien und in
gewissem Sinne abenteuerlichen Mann, der einem
Geistlichen oder fast besser noch einem vermummten
Fürsten glich in der Lässigkeit, niit welcher er seines
Weges ging. Ein Aauberer schien er zu sein, denn er
trug eine unzweideutige Verachtung gegenübcr seiner
Umgebung zur Schau, und zwar so, als fühle er sich
genötigt, sich selber gering zu achten, deshalb, weil er
unter keinen besseren Leuten lebe. Eine Brille ver-
unzierte nicht, sondern zierte und schmückte sein bleiches,
gedankenvolles Gesicht. Das Gesicht schien ohne die
Brille nicht sein Gesicht zu sein. Edel, gleich eineni Ge-
sandten, der gewöhnt ist, an königlichen und kaiserlichen
Höfen zu verkehren, schritt die schlanke, leicht vornüber
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