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Schroeder, Leopold von
Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung: ein Cyklus von 50 Vorlesungen, zugl. als Handbuch der indischen Literaturgeschichte, nebst zahlr., in dt. Übers. mitgeteilten Proben aus indischen Schriftwerken — Leipzig, 1887

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https://doi.org/10.11588/diglit.16152#0600

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— 592 —

Es ist ferner sehr zu beachten, dass das Wort Bharata
in mehreren Volkssprachen „Sänger" bedeutet,1 und sah schon
Lassen darin einen deutlichen Hinweis darauf, dass „ursprüng-
lich der Gesang einen Hauptbestandtheil des Schauspiels bildete."2

Weiter tritt es deutlich, hervor, dass bei jenen ältesten
Aufführungen auch der Tanz eine wichtige Rolle spielte.

Die indische Tradition giebt an, dass jene ersten drama-
tischen Darstellungen vor den Göttern in drei Arten bestanden
haben sollen, nämlich 1) nritta d. h. blosser Tanz; 2) nritya,
d. h. Tanz mit Geberden, Mimik, aber ohne Worte; 3) nätya,
d. h. Tanz, mit Geberden und Worten verbunden. Diese letztere
Art wäre als der erste Anfang einer eigentlich dramatischen
Aufführung anzusehen. Die Sprache giebt uns hier noch weitere
deutliohe Hinweise. Die Yerbalwurzel nat, eigentlich nur eine
prakritisirte Form von nart,3 bedeutet „tanzen"; im Causativum
„nätayati" bedeutet es aber „als Schauspieler etwas darstellen,
aufführen"; nätya bedeutet „Tanz, Mimik, Darstellung auf der
Bühne, Schauspielerkunst;"4 nata sowie nätaka, von derselben
Wurzel, bedeutet „Schauspieler", eigentlich also „Tänzer"; das
Neutrum nätaka bezeichnet ein Schauspiel, und zwar die her-
vorragendste Art desselben. Diese sprachlichen Thatsachen
rücken Tanz, Mimik und Schauspielkunst auf das Engste zu-
sammen und, stimmen durchaus zu der Tradition von jenen
ältesten Aufführungen vor den Göttern, welche Nachrichten ja
an sich fabelhaft sind, aber immerhin als Hinweise auf die
ältesten dramatischen Darstellungen beachtet werden müssen.
Wir haben demnach wahrscheinlich den Ursprung des Dramas
in Tänzen und Gesängen zu suchen, die bei festlichen Gelegen-
heiten stattfanden und bei denen mehr und mehr die Mimik,
das gesprochene Wort, endlich der Dialog sich in den Vorder-
grund drängten.5

Dass diese ältesten dramatischen Aufführungen wahrschein-

1 Nämlich bharot in Gujerat, und bhatbei den Räjaputra, s. Lassen.
Ind. Alt. II1, p. 507 Anm.

2 S. Lassen, a. a. 0. II2, p. 507.

8 nart ist die gewöhnliche Wurzel, die „tanzen" bedeutet.

*' Vgl. das Petersburger Wörterbuch g. v.

5 Auch Weber, Ind. Lit. 2. Aufl. p. 218 sagt vom Drama: „Der
Name dafür ist Nätaka und ein Schauspieler heisst Nata, d. i. Tänzer.
Die Etymologie weist uns also darauf hin, dass das Drama aus dem Tanz
sich entwickelt hat, der ursprünglich wohl nur mit Spiel und Gesang,
allmählich aber mit pantomimischen Darstellungen, Aufzügen und Dia-
logen begleitet wurde."
 
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