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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Elftes Heft
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Déry, Tibor: Blaue Glasfiguren, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0205

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Natalie Gontscharowa: Espagnoie





175

— Wohin? — fragte er und spuckte aus. —
Die Spitäler sind voll und übrigens will
ich auch nicht in stinkenden Kabinen ster-
ben. Hier wiederkäue ich still, strecke
manchmal den Fuss aus, die Menschen
stolpern und fallen auf die Nase. Darüber
lache ich. —
Es war kalt, im grossen Wind klirrten die
Glaslampen, eingewickelte Ratten liefen mit
starkem Jodoformgeruch aus den Kanälen
heraus. Der Kranke fing sich eine mit
langen Fingern, zerbrach sie in zwei Stücke
und ass sie auf. Die Glasfigur sagte:
— Ich liebe dich, denn der leidende Mensch
ist sanft und gut, wie ein Bissen Brot. Auch
ich will leiden. Stich mir die Stirne durch!

— Die Menschen würdigen es nicht genü-
gend, dass ich unglücklich bin — sagte der
Kranke. — Warum binden sie mir keinen
Kranz aus Veilchen und Anemonen um das
Haupt? Zur Strafe biss ich gestern meiner
Frau das linke Ohr ab. Es war geschmack-
los. —
— Ich will leiden — sagte die Glasfigur und
schlug die Stirne gegen das Pflaster.
Es war so kalt, dass das Kalb im Leibe
der Kuh erfror. Vor dem Ausschank schau-
kelte eine lila Blechlaterne im Wind, viele
Menschen hinkten durch die Türe, ihre
Köpfe leuchteten wie Glutenkisten.
— Guten Abend . . . guten Abend! — sagten
sie, murmelten und entschwebten über dem
 
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