ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE WAFFEN-UN D KOSTÜMKUNDE
NEUE FOLGE, BAND 2 (11) APRIL 1926 Heft 3
ÜBER PULVERPROBEN FRÜHERER ZEITEN
VON GUSTAV F1SCHLER
Das Pulver, das in seiner Zusammensetzung aus
Schwefel, Salpeter und Kohle besteht, wurde bereits
vor vielen Jahrhunderten1) in China bei der Kriegs-
feuerwerkerei verwendet. Seine Erfindung ist wohl
einem Zufall zu verdanken, da sein Hauptbestand-
teil, der Salpeter KNOS, in verschiedenen Gebieten
des Riesenreiches im natürlichen Zustande vorkommt.
Wo die Entdeckung gemacht wurde und wer der
Erfinder war, dürfte kaum mehr festzustellen sein.
Von China gelangte die Kenntnis von dem Gebrauche
des Pulvers nach Indien, wo ja auch in manchen
Gegenden der Salpeter ein Naturprodukt ist, und
von da zu den Persern und Arabern. Durch die
Kreuzzüge2) erhielt das Abendland Kunde von die-
sem Kriegsmittel; der gelehrte Franziskanermönch
Roger Bacon3) in Oxford 1214—1294 dürfte der
erste in Europa gewesen sein, der mit ihm Versuche
anstellte. Seine künstlichen Blitze und Donner erreg-
ten das Grauen seiner Zeitgenossen. Als Urerfinder
darf man ihn aber nicht ansehen, ebensowenig den
sagenhaften Franziskanermönch Berthold Schwarz4)
dem Freiburg in Baden bereits 1853 ein Denkmal 5 6 * * * *)
*) Interessante und ausführliche Angaben über die
früheste Verwendung des Pulvers macht der sächsische
Hauptmann J. Schön in seiner Geschichte der Handfeuer-
waffen 1858. Wenn vielleicht auch manches, was Schön
darin vorbringt, vom Standpunkt der neuesten Forschung
unhaltbar geworden, so ist er doch m. W. einer der ersten
gewesen, der diesen Fragenkomplex eingehend behandelt
hat.
2) Conqueste de Constantinople 1204. Handschrift des
Joffrois de Ville-Hardouin, Marschall der Champagne,
herausgegeben von Getz, Voigtländers Quellenbücher,
Band 87, wo auf S. 105 und 138 von Minen, die die
Befestigungsmauern von Pentaves und Adrianopel zum
Einsturz bringen sollten und von Geschützen)?) bei
Zara S. 31 die Rede ist. Vgl. auch Wilhelm Erben: Bei-
träge zur Geschichte des Geschützwesens, Z. H. W. K. 7,
96, wo er für das Jahr 1203 die Petraria und den Mango-
nellus erwähnt.
3) Dr. Willy Bein: Der Stein der Weisen, 1915 usw.
Voigtländers Quellenbücher Bd. 88, S. 70, 83, 89, 90,
116.
4) Z. H. W. K. 5, 223, wo Jakobs Berthold Schwarz
als keine historische Persönlichkeit ansieht.
6) Z. H. W. K. 4, 65—69 und 113—118, Arbeiten von
F. M. Feldhaus.
errichtete und der durch seine schwarze Kunst angeb-
lich 1388 sein Leben verlor. Beide Mönche sind wohl
nur Verbesserer der alten Erfindung gewesen.
Wann das Pulver zuerst im Abendlande s) als ge-
schoßtreibendes Mittel in Geschützen oder Büchsen
im Kampfe zur Anwendung kam, wissen wir heute
noch nicht. Das Auftreten von „Serpantinen und Ka-
nonen“ in Metz im Kriege gegen König Johann den
Blinden von Böhmen im Jahre 13247) war vor eini-
gen Jahren Gegenstand einer lebhaften Auseinander-
setzung; heute glaubt man nicht mehr daran.
Crecy mit seinen zwei kleinen Feldgeschützen nennt
Rathgen das „Mlusterbeispiel einer allgeglaubten
Mythe“8). Sicher erwiesen ist das Vorkommen von
Büchsen (Geschützen) in Deutschland seit dem Jahre
1348 nach den Stadtrechnungen von Naumburg a. S.
und Frankfurt a. M.9); während für die Schweiz Be-
lege (nachGeßler „Die Entwicklung des Geschützwe-
sens in der Schweiz von seinen Anfängen bis Ende
desBurgunderkrieges“) für Basel vor 1371, wohl kaum
vor 1361, für Bern vor 1377, für Luzern vor 1383
nicht vor 1354, für Zürich vor 1386, für Biel vor
1390 und für Zug vor 1405 vorkommen10).
Das älteste abendländische Pulverrezept11) aus den
dreißiger Jahren des 14. Jahrh. ist in einer Hand-
schrift der Münchener Staatsbibliothek aufbewahrt.
Darnach nimmt man:
e) Feldhaus Z. H.W. K. 4, 65: In China ist am Ende
des 12. Jahrh. das salpeterhaltige Schießpulver und seine
Ladung in eisernen Hüllen (Bomben) bekannt 1175 nach
Romocki I, S. 54.
7) a) Jähns, Geschichte des Kriegswesens von der Ur-
zeit bis zur Renaissance, S. 944, nach den Chroniques
de la Ville de Metz, publ. par Huguenin Metz 1838.
b) Z. H.W. K.7, Rose läßt hier die Frage unent-
schieden.
c) Ebenda 6, 219/221 Jakobs contra.
d) Ebenda 7, 203/218 Go-hlke contra.
e) Ebenda 7, 276, Bernhard Rathgen contra.
8) Ebenda 10, 110, Geßler in seiner Besprechung: „Die
Pulverwaffen und das Antwerk bis 1450“ von Bernhard
Rathgen.
10) Ebenda 9, 34.
u) Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften, Bd. I,
S. 228/29. Die nunmehr unter Jähns folgenden Zitate
sind immer seiner dreibändigen Geschichte der Kriegs-
wissenschaften entnommen, also: Jähns, I, II, III.
NEUE FOLGE, BAND 2 (11) APRIL 1926 Heft 3
ÜBER PULVERPROBEN FRÜHERER ZEITEN
VON GUSTAV F1SCHLER
Das Pulver, das in seiner Zusammensetzung aus
Schwefel, Salpeter und Kohle besteht, wurde bereits
vor vielen Jahrhunderten1) in China bei der Kriegs-
feuerwerkerei verwendet. Seine Erfindung ist wohl
einem Zufall zu verdanken, da sein Hauptbestand-
teil, der Salpeter KNOS, in verschiedenen Gebieten
des Riesenreiches im natürlichen Zustande vorkommt.
Wo die Entdeckung gemacht wurde und wer der
Erfinder war, dürfte kaum mehr festzustellen sein.
Von China gelangte die Kenntnis von dem Gebrauche
des Pulvers nach Indien, wo ja auch in manchen
Gegenden der Salpeter ein Naturprodukt ist, und
von da zu den Persern und Arabern. Durch die
Kreuzzüge2) erhielt das Abendland Kunde von die-
sem Kriegsmittel; der gelehrte Franziskanermönch
Roger Bacon3) in Oxford 1214—1294 dürfte der
erste in Europa gewesen sein, der mit ihm Versuche
anstellte. Seine künstlichen Blitze und Donner erreg-
ten das Grauen seiner Zeitgenossen. Als Urerfinder
darf man ihn aber nicht ansehen, ebensowenig den
sagenhaften Franziskanermönch Berthold Schwarz4)
dem Freiburg in Baden bereits 1853 ein Denkmal 5 6 * * * *)
*) Interessante und ausführliche Angaben über die
früheste Verwendung des Pulvers macht der sächsische
Hauptmann J. Schön in seiner Geschichte der Handfeuer-
waffen 1858. Wenn vielleicht auch manches, was Schön
darin vorbringt, vom Standpunkt der neuesten Forschung
unhaltbar geworden, so ist er doch m. W. einer der ersten
gewesen, der diesen Fragenkomplex eingehend behandelt
hat.
2) Conqueste de Constantinople 1204. Handschrift des
Joffrois de Ville-Hardouin, Marschall der Champagne,
herausgegeben von Getz, Voigtländers Quellenbücher,
Band 87, wo auf S. 105 und 138 von Minen, die die
Befestigungsmauern von Pentaves und Adrianopel zum
Einsturz bringen sollten und von Geschützen)?) bei
Zara S. 31 die Rede ist. Vgl. auch Wilhelm Erben: Bei-
träge zur Geschichte des Geschützwesens, Z. H. W. K. 7,
96, wo er für das Jahr 1203 die Petraria und den Mango-
nellus erwähnt.
3) Dr. Willy Bein: Der Stein der Weisen, 1915 usw.
Voigtländers Quellenbücher Bd. 88, S. 70, 83, 89, 90,
116.
4) Z. H. W. K. 5, 223, wo Jakobs Berthold Schwarz
als keine historische Persönlichkeit ansieht.
6) Z. H. W. K. 4, 65—69 und 113—118, Arbeiten von
F. M. Feldhaus.
errichtete und der durch seine schwarze Kunst angeb-
lich 1388 sein Leben verlor. Beide Mönche sind wohl
nur Verbesserer der alten Erfindung gewesen.
Wann das Pulver zuerst im Abendlande s) als ge-
schoßtreibendes Mittel in Geschützen oder Büchsen
im Kampfe zur Anwendung kam, wissen wir heute
noch nicht. Das Auftreten von „Serpantinen und Ka-
nonen“ in Metz im Kriege gegen König Johann den
Blinden von Böhmen im Jahre 13247) war vor eini-
gen Jahren Gegenstand einer lebhaften Auseinander-
setzung; heute glaubt man nicht mehr daran.
Crecy mit seinen zwei kleinen Feldgeschützen nennt
Rathgen das „Mlusterbeispiel einer allgeglaubten
Mythe“8). Sicher erwiesen ist das Vorkommen von
Büchsen (Geschützen) in Deutschland seit dem Jahre
1348 nach den Stadtrechnungen von Naumburg a. S.
und Frankfurt a. M.9); während für die Schweiz Be-
lege (nachGeßler „Die Entwicklung des Geschützwe-
sens in der Schweiz von seinen Anfängen bis Ende
desBurgunderkrieges“) für Basel vor 1371, wohl kaum
vor 1361, für Bern vor 1377, für Luzern vor 1383
nicht vor 1354, für Zürich vor 1386, für Biel vor
1390 und für Zug vor 1405 vorkommen10).
Das älteste abendländische Pulverrezept11) aus den
dreißiger Jahren des 14. Jahrh. ist in einer Hand-
schrift der Münchener Staatsbibliothek aufbewahrt.
Darnach nimmt man:
e) Feldhaus Z. H.W. K. 4, 65: In China ist am Ende
des 12. Jahrh. das salpeterhaltige Schießpulver und seine
Ladung in eisernen Hüllen (Bomben) bekannt 1175 nach
Romocki I, S. 54.
7) a) Jähns, Geschichte des Kriegswesens von der Ur-
zeit bis zur Renaissance, S. 944, nach den Chroniques
de la Ville de Metz, publ. par Huguenin Metz 1838.
b) Z. H.W. K.7, Rose läßt hier die Frage unent-
schieden.
c) Ebenda 6, 219/221 Jakobs contra.
d) Ebenda 7, 203/218 Go-hlke contra.
e) Ebenda 7, 276, Bernhard Rathgen contra.
8) Ebenda 10, 110, Geßler in seiner Besprechung: „Die
Pulverwaffen und das Antwerk bis 1450“ von Bernhard
Rathgen.
10) Ebenda 9, 34.
u) Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften, Bd. I,
S. 228/29. Die nunmehr unter Jähns folgenden Zitate
sind immer seiner dreibändigen Geschichte der Kriegs-
wissenschaften entnommen, also: Jähns, I, II, III.