HEFT 9
LITERATUR
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auch ihre Geschwindigkeit gegeneinander so bedeutende
waren, daß der empfangene Stoß nicht zu ertragen gewe-
sen wäre, wenn der Reiter nicht ängstlich jeden Spielraum
zwischen den einzelnen Massenteilen und somit jede Be-
schleunigung zwischen diesen Teilen vermieden hätte. Hier-
zu gehörte mit in erster Linie, daß er das Gesäß so fest als
möglich an den Hinterzwiesel des Sattels preßte, und er
erreichte dies nur, indem er die Beine ganz gestreckt und
möglichst senkrecht zum Zwiesel in die Steigbügel stemmte.
2. Herr Bernh.ardy legte einzelne Ausgrabungsfunde aus
Ragnit in Ostpreußen vor, namentlich einen gotischen Rad-
sporn aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, aus Eisen, stark
verzinnt, von gerader Form mit langem Halse, an dem
besonders ganz eigenartige Befestigungsklammern an der
Innenseite des Bügels auffielen. Außerdem eine’ schwere
eiserne Klinge eines Knebelspießes von 35 cm Länge und
1,25 kg Gewicht und eine eiserne, der Franziskaform nahe-
stehende Beilklinge von 14 cm Länge und 550 g Gewicht.
48. Sitzung am 21. 9. 1927. Anwesend Frau Dihle und
die Herren Bartel, Binder, Boelcke, Cloß, Czermack, Dre-
ger, Eckardt, Funck, Ilgner, Kahlert, Kekule v. Strado-
nitz, Leonhardg, Locht, Michellg, Mützel, Post, Rohde,
Sonnenberg, Sterzei, Weinitz.
1. Herr Post trägt vor über den sogen. Harnisch Kö-
nigs Franz I. von Frankreich im Zeughause, vgl. S. 201.
2. Herr Cloß berichtet über einen mehrtägigen Besuch
Nürnbergs und des Germanischen Nationalmuseums, be-
schreibt die hervorragendsten Gegenstände an Hand von
mitgebrachten Photographien und bedauerte, daß ebenso
wie im Münchener Nationalmuseum so auch in Nürnberg
die Verwendung solcher Photos dem Interessenten schwie-
rig und teuer gemacht sei. Mit der Aufstellung des Topf-
helms aus dem 14. Jahrh. mit den Zutaten vom Ende
des 16. ist er nicht einverstanden, ebenso mit dessen Be-
zeichnung als Turnierhelm.
3. Herr Sterzei, der zum Leiter des neu gegründeten
Hindenburgmuseums in Berlin berufen worden ist, teilt
die Grundsätze mit, nach denen die Einrichtung dieses
Museums erfolgen soll. Zu den Sammlungsgegenständen
werden selbstverständlich auch Waffen aus der Zeit Hin-
denburgs und namentlich des Weltkrieges gehören; es soll
jedoch ausdrücklich vermieden werden, hier mit dem Zeug-
hause in Wettbewerb zu treten.
LITERATUR
Vanuccio Biringuccio: Pirotechnia. Ein Lehrbuch der
chemisch-metallurgischen Technologie und des Artillerie-
wesens aus dem 16. Jahrhundert. Übersetzt und erläu-
tert von Dr. Otto Johannsen. Verlag Friedrich Vie-
weg und Sohn, A.-G., Braunschweig, 1925.
Es bedurfte schon des logisch geschulten, durch den
Humanismus vielseitig ausgebildeten Geistes eines Renais-
sance-Menschen, um nach den mannigfaltigen Veröf-
fentlichungen des ausgehenden Mittelalters die Erfah-
rungen auf dem Gebiete der Technik, Metallurgie und
Chemie zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzuschwei-
Ben. Daß es ein Italiener war, der dieses Werk voll-
brachte, nimmt bei dem Sinn der Romanen für das For-
male nicht wunder. Dabei ist Biringuccio nicht etwa ein
weltfremder Theoretiker, der nur Erfolge Anderer, beson-
ders der Deutschen, zu Papier bringt, wenn er auch in
seiner Pirotechnia auf manchen Schriften bis hinauf zur
Naturgeschichte des Plinius fußt. Von frühester Jugend
an mitten in politische Parteihader hineingestellt, und die
Wechselfälle des Lebens am eigenen Leibe spürend, ist
er bald von der zu seiner Zeit allgemein anerkannten
Gleichstellung von Macht und Recht durchdrungen. Diese
Einsicht scheint ihn zur Tätigkeit auf artilleristischem
Gebiete und als Folge davon zu den Quellen dieser Kunst,
zur Chemie, Mineralogie, Technik und zuletzt zum Berg-
bau geführt zu haben. Aber die Artillerie behält inner-
halb dieser Interessenkreise die erste Stellung. Auch in
seiner Pirotechnia kommt dies allein schon in den Aus-
maßen der einzelnen Kapitel zum Ausdruck. So ist es in
vollstem Maße gerechtfertigt, wenn Otto Johannsen seine
mustergültig sorgfältige Übersetzung dieses ersten grund-
legenden Werkes über die Feuerwerkstechnik dem besten
Kenner mittelalterlichen Artilleriewesens, Bernhard Rath-
gen widmet. Erst mit Hilfe dieser vollständigen, durch
sachkundige Erläuterungen erweiterten deutschen Ausgabe
erhalten wir einen vollen Eindruck von der Bedeutung
dieses Buches und vom Können seines Autors. Es ist das
bezeichnende Alterswerk eines Empirikers, der am Ende
seiner Laufbahn alles das zusammenfaßt, was sein Leben
ausgemacht hat. ,„Ich bin jetzt im grauen kalten Alter
angekommen“, schreibt er selbst im letzten Kapitel; und
wirklich hat er, 1480 geboren, das Erscheinen seines Wer-
kes im Jahre 1540 nicht mehr erlebt. Sein abgeklärter
„Altersstil“ zeigt sich auch in der sinnvoll-durchdachten
Folge der zehn Bücher, in die er seine Ausführungen ein-
teilt. Als Einleitung werden die Bergwerke und ihre Be-
triebe erläutert. Dann beginnt das erste Buch mit der
Besprechung der Metalle, an deren Spitze das edelste
Erz, das Gold, steht. Daran schließen sich die „Halb-
erze“ — besser Mineralien — an, denen eine Abhand-
lung über die Glasfabrikation angefügt ist. Der zweite
große Abschnitt umfaßt die Bücher 3—5, in denen wir das
Probieren und die Vorbereitung der Erze für das Schmel-
zen, die Trennung des Goldes vom Silber und die Legie-
rungen der Metalle kennenlernen. Vom sechsten Buch
ab widmet sich Biringuccio ganz seiner eigentlichen Auf-
gabe: der Herstellung von Geschützen und anderer tech-
nischer Kampfmittel. Wohl werden auch die technischen
und metallurgischen Bedingungen für den Guß von Glok-
ken und Bronzefiguren, für Münzen und Spiegel gelehrt,
aber der Verfasser kommt doch immer wieder auf sein
Lieblingsthema zu sprechen. Daneben werden wir mit
anderen notwendigen Gebieten, wie Destillierkunst, Töpfe-
rei, Schmiedekunst der einzelnen Metalle, bekannt. Im
letzten Buch stehen die größten Gegensätze nebenein-
ander: Krieg und Feuerwerksbelustigungen bei Festlich-
keiten; und doch sind die künstlichen Brandstoffe und
z. T. auch die Form ihrer Anwendung die gleichen! Zu-
letzt klingt das Werk aus mit lebensphilosophischen Er-
örterungen über „das Feuer, das der große Sohn der
Venus geschaffen hat“, und das stärker ist, als sämtliche
anderen Feuerarten. Günther Rudolph.
LITERATUR
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auch ihre Geschwindigkeit gegeneinander so bedeutende
waren, daß der empfangene Stoß nicht zu ertragen gewe-
sen wäre, wenn der Reiter nicht ängstlich jeden Spielraum
zwischen den einzelnen Massenteilen und somit jede Be-
schleunigung zwischen diesen Teilen vermieden hätte. Hier-
zu gehörte mit in erster Linie, daß er das Gesäß so fest als
möglich an den Hinterzwiesel des Sattels preßte, und er
erreichte dies nur, indem er die Beine ganz gestreckt und
möglichst senkrecht zum Zwiesel in die Steigbügel stemmte.
2. Herr Bernh.ardy legte einzelne Ausgrabungsfunde aus
Ragnit in Ostpreußen vor, namentlich einen gotischen Rad-
sporn aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, aus Eisen, stark
verzinnt, von gerader Form mit langem Halse, an dem
besonders ganz eigenartige Befestigungsklammern an der
Innenseite des Bügels auffielen. Außerdem eine’ schwere
eiserne Klinge eines Knebelspießes von 35 cm Länge und
1,25 kg Gewicht und eine eiserne, der Franziskaform nahe-
stehende Beilklinge von 14 cm Länge und 550 g Gewicht.
48. Sitzung am 21. 9. 1927. Anwesend Frau Dihle und
die Herren Bartel, Binder, Boelcke, Cloß, Czermack, Dre-
ger, Eckardt, Funck, Ilgner, Kahlert, Kekule v. Strado-
nitz, Leonhardg, Locht, Michellg, Mützel, Post, Rohde,
Sonnenberg, Sterzei, Weinitz.
1. Herr Post trägt vor über den sogen. Harnisch Kö-
nigs Franz I. von Frankreich im Zeughause, vgl. S. 201.
2. Herr Cloß berichtet über einen mehrtägigen Besuch
Nürnbergs und des Germanischen Nationalmuseums, be-
schreibt die hervorragendsten Gegenstände an Hand von
mitgebrachten Photographien und bedauerte, daß ebenso
wie im Münchener Nationalmuseum so auch in Nürnberg
die Verwendung solcher Photos dem Interessenten schwie-
rig und teuer gemacht sei. Mit der Aufstellung des Topf-
helms aus dem 14. Jahrh. mit den Zutaten vom Ende
des 16. ist er nicht einverstanden, ebenso mit dessen Be-
zeichnung als Turnierhelm.
3. Herr Sterzei, der zum Leiter des neu gegründeten
Hindenburgmuseums in Berlin berufen worden ist, teilt
die Grundsätze mit, nach denen die Einrichtung dieses
Museums erfolgen soll. Zu den Sammlungsgegenständen
werden selbstverständlich auch Waffen aus der Zeit Hin-
denburgs und namentlich des Weltkrieges gehören; es soll
jedoch ausdrücklich vermieden werden, hier mit dem Zeug-
hause in Wettbewerb zu treten.
LITERATUR
Vanuccio Biringuccio: Pirotechnia. Ein Lehrbuch der
chemisch-metallurgischen Technologie und des Artillerie-
wesens aus dem 16. Jahrhundert. Übersetzt und erläu-
tert von Dr. Otto Johannsen. Verlag Friedrich Vie-
weg und Sohn, A.-G., Braunschweig, 1925.
Es bedurfte schon des logisch geschulten, durch den
Humanismus vielseitig ausgebildeten Geistes eines Renais-
sance-Menschen, um nach den mannigfaltigen Veröf-
fentlichungen des ausgehenden Mittelalters die Erfah-
rungen auf dem Gebiete der Technik, Metallurgie und
Chemie zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzuschwei-
Ben. Daß es ein Italiener war, der dieses Werk voll-
brachte, nimmt bei dem Sinn der Romanen für das For-
male nicht wunder. Dabei ist Biringuccio nicht etwa ein
weltfremder Theoretiker, der nur Erfolge Anderer, beson-
ders der Deutschen, zu Papier bringt, wenn er auch in
seiner Pirotechnia auf manchen Schriften bis hinauf zur
Naturgeschichte des Plinius fußt. Von frühester Jugend
an mitten in politische Parteihader hineingestellt, und die
Wechselfälle des Lebens am eigenen Leibe spürend, ist
er bald von der zu seiner Zeit allgemein anerkannten
Gleichstellung von Macht und Recht durchdrungen. Diese
Einsicht scheint ihn zur Tätigkeit auf artilleristischem
Gebiete und als Folge davon zu den Quellen dieser Kunst,
zur Chemie, Mineralogie, Technik und zuletzt zum Berg-
bau geführt zu haben. Aber die Artillerie behält inner-
halb dieser Interessenkreise die erste Stellung. Auch in
seiner Pirotechnia kommt dies allein schon in den Aus-
maßen der einzelnen Kapitel zum Ausdruck. So ist es in
vollstem Maße gerechtfertigt, wenn Otto Johannsen seine
mustergültig sorgfältige Übersetzung dieses ersten grund-
legenden Werkes über die Feuerwerkstechnik dem besten
Kenner mittelalterlichen Artilleriewesens, Bernhard Rath-
gen widmet. Erst mit Hilfe dieser vollständigen, durch
sachkundige Erläuterungen erweiterten deutschen Ausgabe
erhalten wir einen vollen Eindruck von der Bedeutung
dieses Buches und vom Können seines Autors. Es ist das
bezeichnende Alterswerk eines Empirikers, der am Ende
seiner Laufbahn alles das zusammenfaßt, was sein Leben
ausgemacht hat. ,„Ich bin jetzt im grauen kalten Alter
angekommen“, schreibt er selbst im letzten Kapitel; und
wirklich hat er, 1480 geboren, das Erscheinen seines Wer-
kes im Jahre 1540 nicht mehr erlebt. Sein abgeklärter
„Altersstil“ zeigt sich auch in der sinnvoll-durchdachten
Folge der zehn Bücher, in die er seine Ausführungen ein-
teilt. Als Einleitung werden die Bergwerke und ihre Be-
triebe erläutert. Dann beginnt das erste Buch mit der
Besprechung der Metalle, an deren Spitze das edelste
Erz, das Gold, steht. Daran schließen sich die „Halb-
erze“ — besser Mineralien — an, denen eine Abhand-
lung über die Glasfabrikation angefügt ist. Der zweite
große Abschnitt umfaßt die Bücher 3—5, in denen wir das
Probieren und die Vorbereitung der Erze für das Schmel-
zen, die Trennung des Goldes vom Silber und die Legie-
rungen der Metalle kennenlernen. Vom sechsten Buch
ab widmet sich Biringuccio ganz seiner eigentlichen Auf-
gabe: der Herstellung von Geschützen und anderer tech-
nischer Kampfmittel. Wohl werden auch die technischen
und metallurgischen Bedingungen für den Guß von Glok-
ken und Bronzefiguren, für Münzen und Spiegel gelehrt,
aber der Verfasser kommt doch immer wieder auf sein
Lieblingsthema zu sprechen. Daneben werden wir mit
anderen notwendigen Gebieten, wie Destillierkunst, Töpfe-
rei, Schmiedekunst der einzelnen Metalle, bekannt. Im
letzten Buch stehen die größten Gegensätze nebenein-
ander: Krieg und Feuerwerksbelustigungen bei Festlich-
keiten; und doch sind die künstlichen Brandstoffe und
z. T. auch die Form ihrer Anwendung die gleichen! Zu-
letzt klingt das Werk aus mit lebensphilosophischen Er-
örterungen über „das Feuer, das der große Sohn der
Venus geschaffen hat“, und das stärker ist, als sämtliche
anderen Feuerarten. Günther Rudolph.