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HANS MÜTZEL: DIE TRACHT DER GERMANEN UND IHR FORTLEBEN USW.
BAND 2
Interesse sein. Bekanntlich erlaubt uns die Selten-
heit der echten Damaszenerklingen keine eingehenden
Untersuchungen ihrer physikalischen Eigenschaften,
wie sie die heutige wissenschaftliche Materialprüfung
verlangt. Ist nun ein dem altindischen Material iden-
tischer Werkstoff gefunden, so bietet sich Gelegen-
heit, der Lösung etlicher, viel umstrittener Fragen
näher zu kommen: Ist die Güte des Materials abhän-
gig von der Feinheit des Kristallkornes (heutige An-
schauung) oder ist die alt-indische Ansicht berech-
tigt, die das grobe Korn dem feinen vorzieht? Ist
das alt-indische Material wirklich unserem heutigen
besten Stahl an Elastizität und Schnittfähigkeit über-
legen? eine Frage, auf die Professor Zschokke in der
Revue de metallurgie Nov. 1924 P. 635 eine durchaus
verneinende Antwort gibt. — Der Lösung dieser und
anderer Fragen wird uns hoffentlich der eingeschla-
gene Weg etwas näher bringen.
DIE TRACHT DER GERMANEN UND IHR FORTLEBEN IM
DEUTSCHEN MITTELALTER
VON HANS MÜTZEL
Mit der Tracht der alten Germanen pflegen wir
diejenige Entwicklungsstufe zu bezeichnen, in der
diese uns bei ihrem Eintritt in die Geschichte er-
scheinen, d. h. zur Zeit von Cäsar (58 52 vorChr.)
und Tacitus (J 120 nach Chr.). Illustriert werden
die literarischen Berichte durch bildnerische Darstel-
lungen auf römischen Denkmälern: der Siegessäule
Trajans auf dem Forum Trajani in Rom, errichtet
113 und des Marcus Aurelius Antoninus auf der
Piazza Colonna in Rom, errichtet 193. Die am
Constantinsbogen in Rom befindlichen Dakerstatuen
stammen vom ehemaligen Bogen des Trajan. Diese
Quellen werden ergänzt durch die zahlreichen auf
deutschem Boden gehobenen Grab-, Depot- und Siede-
lungsfunde. Der Begriff der altgermanischen Tracht
erstreckt sich weiter auf die Zeit der großen Völker-
wanderung des 4. u. 5. Jahrh. vor einer eigentlichen
planmäßigen Geschichtschreibung. Es sind im allge-
meinen die Gegner der Römer, die Helden der Edda-
lieder und die Begründer der ersten christlichen
Staaten im frühen Mittelalter, welche in unserer
Tradition ein heroisches Zeitalter ausfüllen, also
ungefähr das erste halbe Jahrtausend der christlichen
Zeitrechnung.
Es ist nun erstaunlich, welch verworrene und falsche
Vorstellungen das deutsche Volk von der äußeren
Erscheinung seiner vorchristlichen Ahnen in dieser
immerhin gewaltigen Zeitspanne hat. Den größten
Teil der Schuld daran tragen die Dichter und bil-
denden Künstler der Neuzeit, die, um unsere Vor-
fahren schön und schrecklich zugleich, kriegsgewaltig
und edel erscheinen zu lassen, Bayreuther Theater-
recken und aufgeputzte Pseudogermanen vorführen,
statt des nüchtern anspruchslosen Bauernvolkes, wie
es der Wirklichkeit entspricht. Ihnen sind wir es
schuldig ebenso wie uns selbst, sie in ihrer herben
Schlichtheit kennen und schätzen zu lernen. Schon
seit Jahrzehnten liegt ein Schatz von Studienmaterial
in den Museen. Aus Gräbern und Mooren sind so-
gar Originalgewandstücke zum Vorschein gekommen,
so daß wir uns ein durchaus einwandfreies Bild von
den Bekleidungsgedanken dieser Periode machen
können. Die formalen Gebilde dieser Tracht, die
einzelnen Kleider sind so charakteristisch in ihrem
Typus für alle germanischen Völker des Ostens und
des Westens, daß sie sich in der weiteren Entwick-
lung während der späteren Jahrhunderte unschwer
wiedererkennen lassen, sobald sie in den Kreis der
künstlerischen Darstellung eintreten. Sie unterschei-
den sich so gründlich von der Tracht der Nachbar-
völker, im Osten der Slaven und Skythen und im
Süden der Griechen und Römer, daß wir berech-
tigt sind, nicht nur von einer Tracht der alten
Germanen zu sprechen, sondern von einer germa-
nischen Tracht.
Die prähistorische Tracht der Germanen1).
Bevor auf diese historische germanische Tracht
eingegangen wird, ist es jedoch erforderlich fest-
zustellen, daß die der prähistorischen Periode, die
wir Bronzezeit nennen, auf demselben Boden, bei der-
selben Rasse, nur einundeinhalb Jahrtausend früher
(ca. 1800 400 vor Chr.) eine im Typus vollkommen
andere war. Auch diese Menschen der Bronzezeit
i) Die Äbb. 1, 2, 3, 6, 9,10 sind aus dem Werk des Ver-
fassers „Vom Lendenschurz zur Modetracht“ (Berlin 1925)
entnommen.
HANS MÜTZEL: DIE TRACHT DER GERMANEN UND IHR FORTLEBEN USW.
BAND 2
Interesse sein. Bekanntlich erlaubt uns die Selten-
heit der echten Damaszenerklingen keine eingehenden
Untersuchungen ihrer physikalischen Eigenschaften,
wie sie die heutige wissenschaftliche Materialprüfung
verlangt. Ist nun ein dem altindischen Material iden-
tischer Werkstoff gefunden, so bietet sich Gelegen-
heit, der Lösung etlicher, viel umstrittener Fragen
näher zu kommen: Ist die Güte des Materials abhän-
gig von der Feinheit des Kristallkornes (heutige An-
schauung) oder ist die alt-indische Ansicht berech-
tigt, die das grobe Korn dem feinen vorzieht? Ist
das alt-indische Material wirklich unserem heutigen
besten Stahl an Elastizität und Schnittfähigkeit über-
legen? eine Frage, auf die Professor Zschokke in der
Revue de metallurgie Nov. 1924 P. 635 eine durchaus
verneinende Antwort gibt. — Der Lösung dieser und
anderer Fragen wird uns hoffentlich der eingeschla-
gene Weg etwas näher bringen.
DIE TRACHT DER GERMANEN UND IHR FORTLEBEN IM
DEUTSCHEN MITTELALTER
VON HANS MÜTZEL
Mit der Tracht der alten Germanen pflegen wir
diejenige Entwicklungsstufe zu bezeichnen, in der
diese uns bei ihrem Eintritt in die Geschichte er-
scheinen, d. h. zur Zeit von Cäsar (58 52 vorChr.)
und Tacitus (J 120 nach Chr.). Illustriert werden
die literarischen Berichte durch bildnerische Darstel-
lungen auf römischen Denkmälern: der Siegessäule
Trajans auf dem Forum Trajani in Rom, errichtet
113 und des Marcus Aurelius Antoninus auf der
Piazza Colonna in Rom, errichtet 193. Die am
Constantinsbogen in Rom befindlichen Dakerstatuen
stammen vom ehemaligen Bogen des Trajan. Diese
Quellen werden ergänzt durch die zahlreichen auf
deutschem Boden gehobenen Grab-, Depot- und Siede-
lungsfunde. Der Begriff der altgermanischen Tracht
erstreckt sich weiter auf die Zeit der großen Völker-
wanderung des 4. u. 5. Jahrh. vor einer eigentlichen
planmäßigen Geschichtschreibung. Es sind im allge-
meinen die Gegner der Römer, die Helden der Edda-
lieder und die Begründer der ersten christlichen
Staaten im frühen Mittelalter, welche in unserer
Tradition ein heroisches Zeitalter ausfüllen, also
ungefähr das erste halbe Jahrtausend der christlichen
Zeitrechnung.
Es ist nun erstaunlich, welch verworrene und falsche
Vorstellungen das deutsche Volk von der äußeren
Erscheinung seiner vorchristlichen Ahnen in dieser
immerhin gewaltigen Zeitspanne hat. Den größten
Teil der Schuld daran tragen die Dichter und bil-
denden Künstler der Neuzeit, die, um unsere Vor-
fahren schön und schrecklich zugleich, kriegsgewaltig
und edel erscheinen zu lassen, Bayreuther Theater-
recken und aufgeputzte Pseudogermanen vorführen,
statt des nüchtern anspruchslosen Bauernvolkes, wie
es der Wirklichkeit entspricht. Ihnen sind wir es
schuldig ebenso wie uns selbst, sie in ihrer herben
Schlichtheit kennen und schätzen zu lernen. Schon
seit Jahrzehnten liegt ein Schatz von Studienmaterial
in den Museen. Aus Gräbern und Mooren sind so-
gar Originalgewandstücke zum Vorschein gekommen,
so daß wir uns ein durchaus einwandfreies Bild von
den Bekleidungsgedanken dieser Periode machen
können. Die formalen Gebilde dieser Tracht, die
einzelnen Kleider sind so charakteristisch in ihrem
Typus für alle germanischen Völker des Ostens und
des Westens, daß sie sich in der weiteren Entwick-
lung während der späteren Jahrhunderte unschwer
wiedererkennen lassen, sobald sie in den Kreis der
künstlerischen Darstellung eintreten. Sie unterschei-
den sich so gründlich von der Tracht der Nachbar-
völker, im Osten der Slaven und Skythen und im
Süden der Griechen und Römer, daß wir berech-
tigt sind, nicht nur von einer Tracht der alten
Germanen zu sprechen, sondern von einer germa-
nischen Tracht.
Die prähistorische Tracht der Germanen1).
Bevor auf diese historische germanische Tracht
eingegangen wird, ist es jedoch erforderlich fest-
zustellen, daß die der prähistorischen Periode, die
wir Bronzezeit nennen, auf demselben Boden, bei der-
selben Rasse, nur einundeinhalb Jahrtausend früher
(ca. 1800 400 vor Chr.) eine im Typus vollkommen
andere war. Auch diese Menschen der Bronzezeit
i) Die Äbb. 1, 2, 3, 6, 9,10 sind aus dem Werk des Ver-
fassers „Vom Lendenschurz zur Modetracht“ (Berlin 1925)
entnommen.