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PAUL REIMER: VOM DAMASZENERSTAHL
BAND 2
VOM DAMASZENERSTAHL
VON PAUL REIMER
In Band 2 (11) S. 58 der Z. H. W. K. geht Fräu-
lein K. Harnecker auf den Artikel von Ed. v. Lenz in
Z.H.W.K. 4, 132 von 1907 ein, in dem die Entste-
hung des Damaszenerstahls, d. h. seines eigentlichen
Gefüges, auf chemisch-metallurgische Vorgänge zu-
rückgeführt wird, im Gegensatz zu den beiden frühe-
ren Artikeln in unserer Zeitschrift 2 S. 231 und 3
S. 179, die lediglich das mechanisch-technologische
Verfahren des Zusammenschweißens aus Stäben
von Eisen oder Stahl von verschieden hohem
Kohlenstoffgehalt zur Erzielung des bekannten
Damastes besprechen. Sowohl Lenz wie Har-
necker gehen von den Erfolgen der modernen
Metallforschung aus, die durch mikroskopische
Untersuchungen festgestellt hat, daß beim Erkalten
einer flüssigen Legierung aus Eisen und Kohlenstoff
zunächst gewisse Sonderlegierungen des Eisens mit
bestimmten Mengen Kohlenstoff, auskristallisieren.
Diese können dann der ganzen Masse eine Struktur
verleihen, die entfernt an das Damastgefüge erinnert,
aber nur bei starker Vergrößerung. Fraglich ist es
überhaupt, ob man ein lediglich grobkörniges Gefüge
als Damaststahl ansprechen darf, dessen Eigentüm-
lichkeit doch gerade auf der Bildung von ausgespro-
chenen Linien und Flächenstücken beruht. Schließ-
lich läßt fast jeder Stähl beim Atzen ein Kristall-
gefüge erkennen, das sich bei entsprechender Vergrö-
ßerung in eine Art Muster auflöst. Von da bis zum
wirklichen Damast oder gar zum „Stufendamast“ ist
aber noch ein weiter Schritt. Lenz glaubt ihn
jedoch tun zu können, indem er (4, 141 mit Abbil-
dungen) sagt: „Wenn das Metall ein genügend gro-
ßes Quantum Kohlenstoff enthält, der Schmelzprozeß
bei sehr hoher Temperatur vorgenommen wird, lange
genug dauert, und endlich die Abkühlung langsam
vor sich geht, so sind damit alle Bedingungen für
eine regelrechte Kristallisation gegeben. Von den
stärkeren Zentren aus werden sich lange Achsen aus-
dehnen und die ganze Masse des erkaltenden Metalles
in gewisse, meist gleichartige Abschnitte teilen, inner-
halb deren die Fortbildung der übrigen Kristalle
verzögert oder erstickt wird; alle diese Hauptachsen
sind im Tiegel von der Peripherie, wo die Abkühlung
am intensivsten einsetzt, zum Zentrum gerichtet, so-
bald aber der Klumpen durchschnitten, in der Pfeil-
richtung aufgerollt und gestreckt wird, kommen diese
Achsen als mehr oder weniger parallele Linienbündel
nebeneinander zu liegen und teilen die Klinge in eine
Reihe von Stufen oder Gliedern. Auf diese Art er-
hält man, nach der Erklärung des Professors Tscher-
now, den natürlichen Stufendamast“.
Es handelt sich hier um einen runden, flachen
Stahlkuchen, in dem sich beim Erkalten angeblich
zahlreiche radiale bis zum Rande reichende Strahlen
einer Sonderlegierung bilden sollen. Wenn nun der
Kuchen in der Mitte gelocht und der so entstandene
Ring an einer Stelle aufgeschnitten, gerade gereckt
und ausgeschmiedet wird, sollen jene Strahlen das
seltene Stufen-Damastmuster erzeugen. Ist dieser
ziemlich einfach anzustellende Versuch einmal aus-
geführt worden? Ich halte das Ganze lediglich für
das Ergebnis einer Überlegung, die durch praktische
Erfahrungen nicht ausreichend gestützt war.
Was mich jedoch an dem Aufsatz Lenz’ inter-
essiert hat, ist die Erwähnung des indischen
„Wootz-Stahles“ (4, S. 135) als Material für die
orientalischen Damaszenerklingen. Leider wird
auf das Wesen dieses eigenartigen Stahles über-
haupt nicht eingegangen, obwohl gerade diese
Wesensart geeignet ist, der viel umstrittenen Frage
des Damaszenerstahls eine ganz neue Wendung zu
geben. Bei seinen Vorlesungen über Eisenhütten-
kunde an der Technischen Hochschule in Charlotten-
burg besprach nämlich Geheimrat Prof. Dr. Herrn.
Wedding 1898 auch die Herstellung dieses „Wootz-
Stahles“. Ich entnehme meinem damaligen Kolleg-
heft folgendes:
In dem Oberlauf verschiedener Ströme Indiens
sammeln die Eingeborenen aus dem Kies rundliche
Eisenerzkörner, die wahrscheinlich im Quellgebiet
auf primärer Lagerstätte ausgewaschen und vom
Wasser mitgeführt worden sind. Diese Erzkörner
bestehen aus sehr reinem Eisenrost, also einer Ver-
bindung von Eisen und Sauerstoff, und werden nun
in die Blätter einer Windenart, auch unter Zugabe
von kleinen Holzstückchen, gewickelt und in kleine,
kegelförmige Tontiegel fest eingesetzt. Die luftdicht
verschlossenen Tiegel werden vermöge ihrer spitzen
Gestalt zu einem Kuppelgewölbe aufgebaut, dessen
Hohlraum die Kohlen aufnimmt. Bei dem nun fol-
genden Glühen (nicht Schmelzen!) tritt folgender
metallurgischer Vorgang ein: die beigegebenen Blät-
PAUL REIMER: VOM DAMASZENERSTAHL
BAND 2
VOM DAMASZENERSTAHL
VON PAUL REIMER
In Band 2 (11) S. 58 der Z. H. W. K. geht Fräu-
lein K. Harnecker auf den Artikel von Ed. v. Lenz in
Z.H.W.K. 4, 132 von 1907 ein, in dem die Entste-
hung des Damaszenerstahls, d. h. seines eigentlichen
Gefüges, auf chemisch-metallurgische Vorgänge zu-
rückgeführt wird, im Gegensatz zu den beiden frühe-
ren Artikeln in unserer Zeitschrift 2 S. 231 und 3
S. 179, die lediglich das mechanisch-technologische
Verfahren des Zusammenschweißens aus Stäben
von Eisen oder Stahl von verschieden hohem
Kohlenstoffgehalt zur Erzielung des bekannten
Damastes besprechen. Sowohl Lenz wie Har-
necker gehen von den Erfolgen der modernen
Metallforschung aus, die durch mikroskopische
Untersuchungen festgestellt hat, daß beim Erkalten
einer flüssigen Legierung aus Eisen und Kohlenstoff
zunächst gewisse Sonderlegierungen des Eisens mit
bestimmten Mengen Kohlenstoff, auskristallisieren.
Diese können dann der ganzen Masse eine Struktur
verleihen, die entfernt an das Damastgefüge erinnert,
aber nur bei starker Vergrößerung. Fraglich ist es
überhaupt, ob man ein lediglich grobkörniges Gefüge
als Damaststahl ansprechen darf, dessen Eigentüm-
lichkeit doch gerade auf der Bildung von ausgespro-
chenen Linien und Flächenstücken beruht. Schließ-
lich läßt fast jeder Stähl beim Atzen ein Kristall-
gefüge erkennen, das sich bei entsprechender Vergrö-
ßerung in eine Art Muster auflöst. Von da bis zum
wirklichen Damast oder gar zum „Stufendamast“ ist
aber noch ein weiter Schritt. Lenz glaubt ihn
jedoch tun zu können, indem er (4, 141 mit Abbil-
dungen) sagt: „Wenn das Metall ein genügend gro-
ßes Quantum Kohlenstoff enthält, der Schmelzprozeß
bei sehr hoher Temperatur vorgenommen wird, lange
genug dauert, und endlich die Abkühlung langsam
vor sich geht, so sind damit alle Bedingungen für
eine regelrechte Kristallisation gegeben. Von den
stärkeren Zentren aus werden sich lange Achsen aus-
dehnen und die ganze Masse des erkaltenden Metalles
in gewisse, meist gleichartige Abschnitte teilen, inner-
halb deren die Fortbildung der übrigen Kristalle
verzögert oder erstickt wird; alle diese Hauptachsen
sind im Tiegel von der Peripherie, wo die Abkühlung
am intensivsten einsetzt, zum Zentrum gerichtet, so-
bald aber der Klumpen durchschnitten, in der Pfeil-
richtung aufgerollt und gestreckt wird, kommen diese
Achsen als mehr oder weniger parallele Linienbündel
nebeneinander zu liegen und teilen die Klinge in eine
Reihe von Stufen oder Gliedern. Auf diese Art er-
hält man, nach der Erklärung des Professors Tscher-
now, den natürlichen Stufendamast“.
Es handelt sich hier um einen runden, flachen
Stahlkuchen, in dem sich beim Erkalten angeblich
zahlreiche radiale bis zum Rande reichende Strahlen
einer Sonderlegierung bilden sollen. Wenn nun der
Kuchen in der Mitte gelocht und der so entstandene
Ring an einer Stelle aufgeschnitten, gerade gereckt
und ausgeschmiedet wird, sollen jene Strahlen das
seltene Stufen-Damastmuster erzeugen. Ist dieser
ziemlich einfach anzustellende Versuch einmal aus-
geführt worden? Ich halte das Ganze lediglich für
das Ergebnis einer Überlegung, die durch praktische
Erfahrungen nicht ausreichend gestützt war.
Was mich jedoch an dem Aufsatz Lenz’ inter-
essiert hat, ist die Erwähnung des indischen
„Wootz-Stahles“ (4, S. 135) als Material für die
orientalischen Damaszenerklingen. Leider wird
auf das Wesen dieses eigenartigen Stahles über-
haupt nicht eingegangen, obwohl gerade diese
Wesensart geeignet ist, der viel umstrittenen Frage
des Damaszenerstahls eine ganz neue Wendung zu
geben. Bei seinen Vorlesungen über Eisenhütten-
kunde an der Technischen Hochschule in Charlotten-
burg besprach nämlich Geheimrat Prof. Dr. Herrn.
Wedding 1898 auch die Herstellung dieses „Wootz-
Stahles“. Ich entnehme meinem damaligen Kolleg-
heft folgendes:
In dem Oberlauf verschiedener Ströme Indiens
sammeln die Eingeborenen aus dem Kies rundliche
Eisenerzkörner, die wahrscheinlich im Quellgebiet
auf primärer Lagerstätte ausgewaschen und vom
Wasser mitgeführt worden sind. Diese Erzkörner
bestehen aus sehr reinem Eisenrost, also einer Ver-
bindung von Eisen und Sauerstoff, und werden nun
in die Blätter einer Windenart, auch unter Zugabe
von kleinen Holzstückchen, gewickelt und in kleine,
kegelförmige Tontiegel fest eingesetzt. Die luftdicht
verschlossenen Tiegel werden vermöge ihrer spitzen
Gestalt zu einem Kuppelgewölbe aufgebaut, dessen
Hohlraum die Kohlen aufnimmt. Bei dem nun fol-
genden Glühen (nicht Schmelzen!) tritt folgender
metallurgischer Vorgang ein: die beigegebenen Blät-