ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE WAFFEN- UN D KOSTÜMKUN DE
NEUE FOLGE, BAND 2 (11) OKTOBER 1926 Heft 4
BERITTENER GRIESWÄRTEL AUS EINEM KAMPFSPIEL UM 1430
VON LUDWIG KAEMMERER
Das Kupferstichkabinett der Veste Coburg bewahrt
eine Federzeichnung aus der ersten Hälfte des XV.
Jahrhunderts, die durch ihren künstlerischen Rang
ebensowohl wie durch den Gegenstand der Darstel-
lung Anspruch auf besondere Beachtung erheben darf.
Ihre Veröffentlichung an dieser Stelle mögen die ko-
stüm- und waffengeschichtlichen Fragen rechtferti-
gen, die sich an die Darstellung knüpfen.
Das leider nicht wohlerhaltene, zum Pausen durch-
lochte, und auf der Rückseite mehrfach ausgebesserte
Blatt mißt 13,7x10,5 cm; es ist mit der Feder in
bläßlicher Tinte auf eng geripptem Papier (o. W.)
gezeichnet und stellt einen nach links ansprengenden
Reiter dar, dessen Roß über einen zu Boden gefalle-
nen, anscheinend überrittenen Mann in bäurischer
Tracht hinwegsetzt. Die Ausstattung von Roß und
Reiter gibt uns Anhaltspunkte sowohl für die Deu-
tung des Vorgangs wie auch für die Entstehungszeit.
Sie sei daher zunächst im Einzelnen behandelt.
Reiter und Pferd sind halbgerüstet. Den Kopf des
Mannes bedeckt eine Lederkappe mit emporgeschla-
gener zweiteiliger Pelzkrempe, wie sie uns aus zahl-
reichen Darstellungen aus der ersten Hälfte des fünf-
zehnten Jahrhunderts bekannt ist1) und ähnlich noch
in Dürers bekanntem frühen Stich der sechs Lands-
knechte (B. 88 um 1495) begegnet. Unter dieser
Kappe (die im Innern vielleicht durch eiserne Span-
gen versteift war) trägt der Dargestellte einen an-
scheinend aus Ringen geflochtenen, enganliegenden
Kopf-, Hals- und Kinnschutz. Den Oberkörper um-
gibt ein ebenfalls enganliegendes Waffenwams, das
nach der Zeichnung am ehesten als Brigantine oder
Jazerin angesprochen werden kann und an den Len-
den mit einem eckigen, schellenbesetzten Dupsing um-
gürtet ist. Ob die Brust des überschlanken Körpers
mit einem Brustblech (frz. placard) noch besonders
gewappnet ist, läßt die gerade hier stark beschädigte
Zeichnung nicht genau erkennen; ebensowenig ist die
Beinbekleidung kenntlich, die fast ganz von dem
tief herabreichenden Vordersteg bzw. Sattelblech
eines Sattels ,,im hohen Zeug“ verdeckt wird.
Einen festen Anhaltspunkt für die Datierung bie-
ten die runden Sackärmel aus Maschengeflecht, deren
x) Post, Männertracht S. 55.
Außennaht mit gezackten Zaddeln besetzt sind. Der
anliegende Unterärmel tritt kurz über dem Handge-
lenk aus ihnen hervor. Der auf der linken Achsel
zusammengehaltene Schultermantel ist ebenfalls ge-
zaddelt und flattert im Winde. Die vorgestreckte un-
bewehrte Linke hält einen Helmwulst (tortillon) mit
flatternder Binde, während die wie zur Abwehr hoch-
Abb. 1.
erhobene Rechte mit Ringelhenzen einen kurzen Stab
oder „tronson de lance“ emporhält.
Die Zaddeltracht und die runden gepolsterten
Sackärmel verschwinden nach 1430 mehr und mehr
aus der Zeitmode3); auch die Schellen am Dupsing
und am Zaum des Pferdes treten später nur noch ver-
einzelt auf. In die gleich frühe Zeit weist auch die
gepanzerte Roßstirn ohne Blendung mit weit ausla-
dendem Zimier in halbem Adlerflug, und der Fürbug
(fz. hourt), der sich breit vor die Brust des Pferdes
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NEUE FOLGE, BAND 2 (11) OKTOBER 1926 Heft 4
BERITTENER GRIESWÄRTEL AUS EINEM KAMPFSPIEL UM 1430
VON LUDWIG KAEMMERER
Das Kupferstichkabinett der Veste Coburg bewahrt
eine Federzeichnung aus der ersten Hälfte des XV.
Jahrhunderts, die durch ihren künstlerischen Rang
ebensowohl wie durch den Gegenstand der Darstel-
lung Anspruch auf besondere Beachtung erheben darf.
Ihre Veröffentlichung an dieser Stelle mögen die ko-
stüm- und waffengeschichtlichen Fragen rechtferti-
gen, die sich an die Darstellung knüpfen.
Das leider nicht wohlerhaltene, zum Pausen durch-
lochte, und auf der Rückseite mehrfach ausgebesserte
Blatt mißt 13,7x10,5 cm; es ist mit der Feder in
bläßlicher Tinte auf eng geripptem Papier (o. W.)
gezeichnet und stellt einen nach links ansprengenden
Reiter dar, dessen Roß über einen zu Boden gefalle-
nen, anscheinend überrittenen Mann in bäurischer
Tracht hinwegsetzt. Die Ausstattung von Roß und
Reiter gibt uns Anhaltspunkte sowohl für die Deu-
tung des Vorgangs wie auch für die Entstehungszeit.
Sie sei daher zunächst im Einzelnen behandelt.
Reiter und Pferd sind halbgerüstet. Den Kopf des
Mannes bedeckt eine Lederkappe mit emporgeschla-
gener zweiteiliger Pelzkrempe, wie sie uns aus zahl-
reichen Darstellungen aus der ersten Hälfte des fünf-
zehnten Jahrhunderts bekannt ist1) und ähnlich noch
in Dürers bekanntem frühen Stich der sechs Lands-
knechte (B. 88 um 1495) begegnet. Unter dieser
Kappe (die im Innern vielleicht durch eiserne Span-
gen versteift war) trägt der Dargestellte einen an-
scheinend aus Ringen geflochtenen, enganliegenden
Kopf-, Hals- und Kinnschutz. Den Oberkörper um-
gibt ein ebenfalls enganliegendes Waffenwams, das
nach der Zeichnung am ehesten als Brigantine oder
Jazerin angesprochen werden kann und an den Len-
den mit einem eckigen, schellenbesetzten Dupsing um-
gürtet ist. Ob die Brust des überschlanken Körpers
mit einem Brustblech (frz. placard) noch besonders
gewappnet ist, läßt die gerade hier stark beschädigte
Zeichnung nicht genau erkennen; ebensowenig ist die
Beinbekleidung kenntlich, die fast ganz von dem
tief herabreichenden Vordersteg bzw. Sattelblech
eines Sattels ,,im hohen Zeug“ verdeckt wird.
Einen festen Anhaltspunkt für die Datierung bie-
ten die runden Sackärmel aus Maschengeflecht, deren
x) Post, Männertracht S. 55.
Außennaht mit gezackten Zaddeln besetzt sind. Der
anliegende Unterärmel tritt kurz über dem Handge-
lenk aus ihnen hervor. Der auf der linken Achsel
zusammengehaltene Schultermantel ist ebenfalls ge-
zaddelt und flattert im Winde. Die vorgestreckte un-
bewehrte Linke hält einen Helmwulst (tortillon) mit
flatternder Binde, während die wie zur Abwehr hoch-
Abb. 1.
erhobene Rechte mit Ringelhenzen einen kurzen Stab
oder „tronson de lance“ emporhält.
Die Zaddeltracht und die runden gepolsterten
Sackärmel verschwinden nach 1430 mehr und mehr
aus der Zeitmode3); auch die Schellen am Dupsing
und am Zaum des Pferdes treten später nur noch ver-
einzelt auf. In die gleich frühe Zeit weist auch die
gepanzerte Roßstirn ohne Blendung mit weit ausla-
dendem Zimier in halbem Adlerflug, und der Fürbug
(fz. hourt), der sich breit vor die Brust des Pferdes
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