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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]; Verein für Historische Waffenkunde [Contr.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — N.F. 2.1926-1928

DOI issue:
Band 2, Heft 5
DOI article:
Goetz, Hermann: Beiträge zur indischen Waffenkunde: 1. Zur Geschichte des javanischen Kris
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.69978#0120

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108

HERMANN GOETZ: BEITRÄGE ZUR INDISCHEN WAFFENKUNDE

BAND 2

BEITRÄGE ZUR INDISCHEN WAFFENKUNDE
1. ZUR GESCHICHTE DES JAVANISCHEN KRIS
VON HERMANN GOETZ

Während unsere Kenntnis der Waffengeschichte
Europas schon weit bis in die Einzelheiten vor-
gedrungen ist, steckt die Erforschung derjenigen
des Orients noch in den Anfängen. Verhältnismäßig
gut läßt sich die Entwicklung der Bewaffnung noch
in der islamischen Kulturwelt und in Ostasien über-
sehen, wo eine nicht geringe Anzahl von Original-
stücken und Darstellungen uns genug Quellen zur
Verfügung stellen, um heute wenigstens schon die
großen Zusammenhänge in Entwicklung und wech-
selseitiger Beeinflussung zu erfassen1). In dem in-
dischen Kulturgebiet jedoch ist überall noch uner-
forschtes Neuland. Im eigentlichen Indien hat der
Islam die alte, einheimische Bewaffnung bis auf zer-
streute Reste verdrängt, in Hinterindien und Indo-
nesien aber, wohin sie Eroberer aus dem Dekhan ge-
bracht haben, hat sie sich in einer für uns vorerst
noch kaum geschichtlich greifbaren Epoche mit den
Waffenformen der Malaien und hinterindischen Au-
tochthonen vermischt. Waffen aber, die älter als zwei
oder drei Jahrhunderte sind, kennen wir mit Sicher-
heit nicht, so daß wir gerade da, wo der Weg von
der rein deskriptiven, ethnographischen Feststellung
zum genetischen, historischen Verständnis zu suchen
wäre, direkte Anhaltspunkte nicht besitzen.
Selbst eine so wohl untersuchte Waffe wie der Kris
der Javaner bietet in dieser Hinsicht die größten
Schwierigkeiten. Wir kennen alle seine Spielarten auf
Java und Madoera, Sumatra und Bali usw., seine
Technik und seinen Mythos. Aber woher er stammt,
ist nach wie vor unbekannt. Kern2) hat die These
aufgestellt, daß er nicht aus Vorderindien von den
Hindus mitgebracht sein könne, obgleich die java-
nischen Krisbücher und Chroniken behaupten3 4), daß
schon die mythischen Helden des Brätä-Krieges (ent-
sprechend dem um die Gegend von Delhi spielenden
Mahäbhärata) ihn benutzt hätten; denn den von den
Hindus Indonesiens erbauten Denkmälern wie dem

1) A. von Le Coq, Bilderatlas zur Kunst und Kultur-
geschichte Mittelasiens, Berlin 1925.
2) J. Gro-neman, Der Kris der Javaner, (Internatio-
nales Archiv für Ethnographie, Bd. 19 und 21), Bd. 19,
p. 145 ff.
3) Ebda.; H. H. Juynboll, Catalogus der Javaansche ...
Handschriften van het Kon. Institut v. d. Taal-, Land-en
Volkenkonde von Nederlandsch-Indie, (Bydragen, Bd. 69,
p. 410 ff.), cod. 645, 537.

Borobudur, Prambanam, u. a. ist der Kris fremd3"),
so daß er wohl malayisch sein müsse. Aber dieses
einheimische Vorbild hat sich bisher noch nicht
gefunden, und die javanische, Jahrhunderte alte
Tradition steht damit im Widerspruch. Denn sie
denkt die als magisch beseelt geltende Krisklinge
als einen Schlangendämon (Näga, Sarpa), eine
ruhende Schlange (Sarpä täpä) beim geraden (papor
bener), eine sich bewegende (Sarpä lumaku) beim
geschweiften Kris (papor loq). Die Nagasd) aber
sind die Erd- und Wassergeister in Vorderindien
seit den ältesten Zeiten, und ihre Feinde, die
Garudas5), eine zu fast menschengestaltigen Dämo-
nentypen vom Mythos umgeformte Adlerart. Dem-
gemäß die Krisklingen stets, wenn oft auch sehr stili-
siert, den Kopf eines Drachen6) und dessen Brust-
flosse zeigen, die Griffe vielfach ein kleines, ge-
krümmtes Männchen mit Adlernase, kurzen Flügeln
und Diadem, eben einen Garuda7) tragen. Daneben
stehen aber auch Griffe mit Räkshasa-Gestalten. All
das sind jedoch altindische Motive, die eben aus jener
Hindu-Epoche in Indonesien stammen, welche den
Kris gar nicht kennt, insbesondere auch die eigentüm-
liche Ausprägung der Näga-Klinge mit dem Elefan-
tenrüssel8).
Die Entstehungszeit des heutigen Kris muß somit
später als die klassische Hindukultur Javas liegen,
aber auch früher als die Einführung des Islam, also
3 a) Im Innern des Borobudur ist auch ein Kries gefun-
den worden. Wenn auch die Fundgeschichte einiger-
maßen unklar ist, so sprechen doch die zwar der alten
Hindukullur angehörigen, jedoch für ein Denkmal wie
dieses viel zu minderwertigen Bronzen, die zugleich ent-
deckt wurden, wie auch das völlig durdhwühlte Innere des
Stupa für eine spätere Verschleppung dieser Funde durch
Schatzgräber an diese Stätte. Vgl. N. J. Krom, Die Boro-
budur-Funde (Zeitschrift für Buddhismus VII, 340 ff.,
1926).
4) Jas. Fergusson, Tree and Serpent Worship, London
1873; C. F. Oldham, The Nägas, (Journal of the Royal
Asiatic Society 1901, p. 461 ff.).
5) Akshay Kumar Maitra, Garuda, the carrier of Vishnu
in Bengal and Java, (Rüpam I, 1920); im Buddhismus:
Grünwedel, Mythologie des Buddhismus, Leipzig 1900.
G) Groneman, 1. c.
7) z. B. bei H. H. Juynboll, Katalog des Ethnographischen
Reichsmuseums, Bd. 11: Java II, Leiden 1914, nos. 1503/03,
1535/4, 1272/3 usw.
8) Groneman, I. c.
 
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