HEFT 11
W. CZERMAK: DAS LANDESZEUGHAUS ZU GRAZ UND SEINE BESTÄNDE
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Turban getragen wurden. Sie dürften also einer
schon etwas vorgerückteren Zeit angehören, als die
neue Turbantracht die alte Tragweise der Kapuze
ganz verdrängt hatte. Im Hinblick auf die Entlegen-
heit der Siedlung werden sie etwa in das zweite Vier-
DAS LANDESZEUGHAUS ZU
VON WILHE
Unter den zahlreichen Waffensammlungen, Rüst-
kammern und Zeughäusern des deutschen Sprach-
gebietes nimmt das Steiermärkische Landeszeughaus
zu Graz unstreitig eine besondere Stellung ein.
Nicht, weil es etwa in größerer Zahl künstlerisch
wertvolle Meisterarbeiten des Waffenhandwerksoder
besondere Denkwürdigkeiten enthielte, sondern weil
hier der vielleicht einzigartige Fall vorliegt, daß ein
landständisches Zeughaus in der gleichen Form,
der gleichen magazinmäßigen Lagerung und im all-
gemeinen den gleichen Beständen erhalten geblieben
ist, wie es vor rund vierhundert Jahren gegründet
wurde. Wenn nun auch ein vortrefflicher, freilich
etwas veralteter Katalog des Grafen Franz von Me-
ran aus dem Jahre 1880 vorliegt, erscheint eine
kurze kritische Beschreibung des Zeughauses und
seiner Bestände am Platze, die Frucht jüngst ge-
machter eingehender Studien an Ort und Stelle ist.
Was dort vor allen Dingen ins Auge fällt, sind
die außerordentlichen Massenbestände an gleich-
artigen Waffen und Ausrüstungsstücken, hauptsäch-
lich aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Nach diesem
Maßstab gemessen stellt das Landeszeughaus in Graz
mit seinen noch annähernd 29000 Einzelstücken eine
der bedeutendsten,z wenn nicht die bedeutendste
Sammlung dieser Art auf dem Kontinente dar.
Schon im Jahre 1551 bestand in Graz eine „Zeug-
hütte“, deren Bestände vor allen Dingen zur Aus-
rüstung und Bewaffnung von Söldnern und Aufge-
botsleuten der steiermärkischen Landschaft bestimmt
waren. Inden Jahren 1642 bis 1644 wurde dann im An-
schluß an das „Landhaus“, das Verwaltungsgebäude
der landständischen Körperschaften, das heutige Lan-
deszeughaus nach den Plänen des damaligen stän-
dischen „Bauschreibers“ Adam v. Wundegger durch
den italienischen Baumeister Antonio Sollar errichtet.
Das im Stile der deutschen Renaissance errichtete
Gebäude in der Herrengasse besitzt eine Frontbreite
von 11,5m und eine Tiefe von 52,65 m; jedes der
fünf Stockwerke enthält einen einzigen, durchlau-
fenden Raum. Sein architektonischer Hauptschmuck
besteht in dem großen, durch Sandsteinfiguren des
tel des 15. Jahrhunderts zu setzen sein4). Immerhin
vermittelt der kostbare Fund einen unmittelbaren
Einblick in die Anfänge dieser für das 15. Jahrhun-
dert so epochalen Tragweise, wie wir ihn uns nicht
besser wünschen können.
GRAZ UND SEINE BESTÄNDE
,M CZERMAK
Mars und der Bellona flankierten Portale, gekrönt
von dem Wappenbild des steirischen Panthers und
den fünf Wappen steiermärkischer Geschlechter, die
sich um den Bau des Zeughauses besonders verdient
gemacht haben.
Wie jedes Institut von so hohem Alter hat auch
das Landeszeughaus seine sehr wechselvolle Ge-
schichte, und es muß leider festgestellt werden, daß
auch ihm nicht Zeiten erspart geblieben sind, wo die
Verständnislosigkeit und Pietätlosigkeit einer Gene-
ration, welche für die Erhaltung des Alten kein
Interesse hatte, auch seinen Beständen unersetz-
lichen Schaden zugefügt hat. Nur so ist es z. B. er-
klärlich, daß die ursprünglich reichen Geschützbe-
stände bis auf einen kümmerlichen Rest verschwun-
den sind. Man hat sie in den vierziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts an das Königreich Neapel ver-
kauft, um von dem Erlös ein Theater zu errichten.
Aber auch sonst ist manches Stück unwiderbringlich
verloren, das zu Theaterveranstaltungen, Masken-
festen und dergl. verliehen wurde, ohne den Rück-
weg ins Zeughaus wiederzufinden. Schließlich wird
jede geschichtliche Feststellung über die Herkunft
einzelner Stücke dadurch sehr erschwert, wenn nicht
unmöglich gemacht, daß auch ein Teil der ur-
sprünglich zahlreichen Archivalien verschwunden iist.
Das Zeughaus, durch fast ein Jahrhundert lang
vernachlässigt und verwahrlost, verdankt seine Wie-
dergeburt in erster Reihe dem höchst verdienstvollen
Wirken des verstorbenen bereits genannten Grafen
Franz v. Meran, welcher im Jahre 1880 eine syste-
4) Paul Nörlund, dem ich meine Ergebnisse mitteilte,
schreibt mir, daß er die von mir vorgeschlagene Tragweise
auch erwog, aber durch die mit einer Ausnahme gegen
Osten, also gegen die Füße orientierte Lage der Kapuzen
davon abkam. Er gibt aber zu, daß diese ursprüngliche
Tragweise vielleicht nur noch zwangs- und ausnahmsweise
bei den Leichen angewandt wurde und hieraus die auf-
fallende Sprengung der Nacht unter dem Kinn, wie sie
überall zu beobachten war, zu erklären ist. — Diese Deu-
tung scheint uns in der Tat sehr einleuchtend, besonders,
wenn man erwägt, wie schwierig es sein mußte, den Tur-
ban auf dem Kopf der Leiche in ihrer horizontalen Lage
festzuhalten.
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W. CZERMAK: DAS LANDESZEUGHAUS ZU GRAZ UND SEINE BESTÄNDE
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Turban getragen wurden. Sie dürften also einer
schon etwas vorgerückteren Zeit angehören, als die
neue Turbantracht die alte Tragweise der Kapuze
ganz verdrängt hatte. Im Hinblick auf die Entlegen-
heit der Siedlung werden sie etwa in das zweite Vier-
DAS LANDESZEUGHAUS ZU
VON WILHE
Unter den zahlreichen Waffensammlungen, Rüst-
kammern und Zeughäusern des deutschen Sprach-
gebietes nimmt das Steiermärkische Landeszeughaus
zu Graz unstreitig eine besondere Stellung ein.
Nicht, weil es etwa in größerer Zahl künstlerisch
wertvolle Meisterarbeiten des Waffenhandwerksoder
besondere Denkwürdigkeiten enthielte, sondern weil
hier der vielleicht einzigartige Fall vorliegt, daß ein
landständisches Zeughaus in der gleichen Form,
der gleichen magazinmäßigen Lagerung und im all-
gemeinen den gleichen Beständen erhalten geblieben
ist, wie es vor rund vierhundert Jahren gegründet
wurde. Wenn nun auch ein vortrefflicher, freilich
etwas veralteter Katalog des Grafen Franz von Me-
ran aus dem Jahre 1880 vorliegt, erscheint eine
kurze kritische Beschreibung des Zeughauses und
seiner Bestände am Platze, die Frucht jüngst ge-
machter eingehender Studien an Ort und Stelle ist.
Was dort vor allen Dingen ins Auge fällt, sind
die außerordentlichen Massenbestände an gleich-
artigen Waffen und Ausrüstungsstücken, hauptsäch-
lich aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Nach diesem
Maßstab gemessen stellt das Landeszeughaus in Graz
mit seinen noch annähernd 29000 Einzelstücken eine
der bedeutendsten,z wenn nicht die bedeutendste
Sammlung dieser Art auf dem Kontinente dar.
Schon im Jahre 1551 bestand in Graz eine „Zeug-
hütte“, deren Bestände vor allen Dingen zur Aus-
rüstung und Bewaffnung von Söldnern und Aufge-
botsleuten der steiermärkischen Landschaft bestimmt
waren. Inden Jahren 1642 bis 1644 wurde dann im An-
schluß an das „Landhaus“, das Verwaltungsgebäude
der landständischen Körperschaften, das heutige Lan-
deszeughaus nach den Plänen des damaligen stän-
dischen „Bauschreibers“ Adam v. Wundegger durch
den italienischen Baumeister Antonio Sollar errichtet.
Das im Stile der deutschen Renaissance errichtete
Gebäude in der Herrengasse besitzt eine Frontbreite
von 11,5m und eine Tiefe von 52,65 m; jedes der
fünf Stockwerke enthält einen einzigen, durchlau-
fenden Raum. Sein architektonischer Hauptschmuck
besteht in dem großen, durch Sandsteinfiguren des
tel des 15. Jahrhunderts zu setzen sein4). Immerhin
vermittelt der kostbare Fund einen unmittelbaren
Einblick in die Anfänge dieser für das 15. Jahrhun-
dert so epochalen Tragweise, wie wir ihn uns nicht
besser wünschen können.
GRAZ UND SEINE BESTÄNDE
,M CZERMAK
Mars und der Bellona flankierten Portale, gekrönt
von dem Wappenbild des steirischen Panthers und
den fünf Wappen steiermärkischer Geschlechter, die
sich um den Bau des Zeughauses besonders verdient
gemacht haben.
Wie jedes Institut von so hohem Alter hat auch
das Landeszeughaus seine sehr wechselvolle Ge-
schichte, und es muß leider festgestellt werden, daß
auch ihm nicht Zeiten erspart geblieben sind, wo die
Verständnislosigkeit und Pietätlosigkeit einer Gene-
ration, welche für die Erhaltung des Alten kein
Interesse hatte, auch seinen Beständen unersetz-
lichen Schaden zugefügt hat. Nur so ist es z. B. er-
klärlich, daß die ursprünglich reichen Geschützbe-
stände bis auf einen kümmerlichen Rest verschwun-
den sind. Man hat sie in den vierziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts an das Königreich Neapel ver-
kauft, um von dem Erlös ein Theater zu errichten.
Aber auch sonst ist manches Stück unwiderbringlich
verloren, das zu Theaterveranstaltungen, Masken-
festen und dergl. verliehen wurde, ohne den Rück-
weg ins Zeughaus wiederzufinden. Schließlich wird
jede geschichtliche Feststellung über die Herkunft
einzelner Stücke dadurch sehr erschwert, wenn nicht
unmöglich gemacht, daß auch ein Teil der ur-
sprünglich zahlreichen Archivalien verschwunden iist.
Das Zeughaus, durch fast ein Jahrhundert lang
vernachlässigt und verwahrlost, verdankt seine Wie-
dergeburt in erster Reihe dem höchst verdienstvollen
Wirken des verstorbenen bereits genannten Grafen
Franz v. Meran, welcher im Jahre 1880 eine syste-
4) Paul Nörlund, dem ich meine Ergebnisse mitteilte,
schreibt mir, daß er die von mir vorgeschlagene Tragweise
auch erwog, aber durch die mit einer Ausnahme gegen
Osten, also gegen die Füße orientierte Lage der Kapuzen
davon abkam. Er gibt aber zu, daß diese ursprüngliche
Tragweise vielleicht nur noch zwangs- und ausnahmsweise
bei den Leichen angewandt wurde und hieraus die auf-
fallende Sprengung der Nacht unter dem Kinn, wie sie
überall zu beobachten war, zu erklären ist. — Diese Deu-
tung scheint uns in der Tat sehr einleuchtend, besonders,
wenn man erwägt, wie schwierig es sein mußte, den Tur-
ban auf dem Kopf der Leiche in ihrer horizontalen Lage
festzuhalten.
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