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HANS MÜTZEL: DIE TRACHT DER GERMANEN UND IHR FORTLEBEN USW.
BAND 2
Persien und Kleinasien (Chlamys). So erscheinen
die südöstlichen d. h. die Donau-Germanen, Bastarner,
Daker und Markomannen auf den römischen Plasti-
ken des zweiten Jahrhunderts (Abb. 5). Ihr Kleid ist
bereits weiter durchgebildet als die Tracht der West-
germanen, wo noch viel mehr Nacktheit an Armen und
Beinen herrscht. Von ihnen haben wir kaum nen-
nenswerte Darstellungen in der römischen Provinzial-
kunst, in der Literatur nur die sehr unklaren Schil-
derungen von Julius Cäsar und Cornelius Taci-
tus (f 120 n. Chr.). Die aus Mooren Jütlands und
Hannovers stammenden Originalmännerkleider ge-
hören dem dritten und vierten nachchristlichen Jahr-
hundert an. Sie sind unter sich und auch mit den
ostgermanischen vom gleichen Typus, waren je-
doch knapper als diese. Das bestätigt auch Tacitus,
der nur die Westgermanen kannte: „Die allgemeine
Tracht ist ein Mantel, der mit einer Spange oder in
deren Ermangelung mit einem Dorn zusammengehal-
ten ist... Nur Wohlhabende tragen ein besonderes
Gewand, das nicht wallend ist, wie das der Sarma-
ten und Perser, sondern eng und anliegend und jeden
Körperteil hervortreten läßt“. In Hannover sind drei
männliche Moorleichen gefunden worden, in
Marx-Etzel, in Obenaltendorf und in Bernuthsfelde
(Abb. 6).
Der Mann von Marx-Etzel (Kr. Wittmund, gef.
1817, Prov.-Mus. Hannover) trägt einen wollenen
Leibrock ohne Ärmel, auf der rechten Schulter zusam-
mengenäht, links wurde er wie die griechische Chlaina
durch Fibeln geschlossen, dazu Kniehosen von ver-
schiedenen Gewebemustern. Einen an beiden Seiten
zusammengenähten Rock mit eingeschnittenem Hals-
loch (ponchoartig) trägt der Mann von Obenalten-
dorf (Kr. Neuhaus a. d. Oste, gef. 1900, Mus. in
Stade), auch er trägt Kniehosen und außerdem
eine breite Binde eigens für die Knie; die Waden
blieben nackt. Dazu kam ein großes plaidartiges
Tuch, ohne daß eine Fibel oder sonstige Ver-
schlußvorrichtung gefunden wurde. Sehr interes-
sant ist der Anzug des Mannes von Bernuthsfelde
(Kr. Aurich Mus. Emden), denn er weist nicht weni-
ger als 22 verschiedene Gewebearten auf. Er ist aus
43 einzelnen Stücken zusammengenäht, einschließlich
der den ganzen Kopf einhüllenden Kapuze sogar aus
51. Der Leibrock hat lange angesetzte Ärmel und einen
Brustschlitz. Breite Unterschenkelbinden, welche die
Zehen freilassen, sind die Beinbekleidung. Als Mantel
dient ein viereckiges, aus mehreren Einzelstücken zu-
sammengesetztes Tuch, das auf der rechten Schulter
mit einer Fibel geschlossen ist. Außerdem fand sich
bei ihm noch ein viereckiges großes Plaid. Aus
dem 4. Jahrh. stammt der Moorfund von Thorsbjerg
bei Süder-Brarup (Dän. Prov. Angeln) im Museum
zu Kiel (Abb. 7). Auch dort hat der Leibrock lange
angesetzte Ärmel von anderem Gewebe als der rot-
wollene Kittel selbst. Hierzu gehörten lange Hosen
mit angesetzten Füßlingen, ebenfalls von verschiede-
nen Gewebearten und eine grünwollene Decke von
2 m im Quadrat mit farbigem Rand und Fransen an
zwei auseinanderstoßenden Kanten. Kniehosen aus
Wollköper fanden sich im Moor von Daetgen (Kr.
Kiel); lange Hosen mit Schlaufen am oberen Rand
Abb. 8. Besiegter Germane. 1. Jahrh. n. Chr., Paris, Nat. Bibi.
zum Durchziehen des Gürtels und Stege zum Fest-
halten unter den Sohlen in Dammendorf (Kr. Eckern-
förde).
Schuhe hat man in großer Zahl gefunden. Aus dem
Bereich der Nordwestgermanen, Hannover, Olden-
burg, Schleswig-Holstein und Holland sind 35 Exem-
plare bekannt, aber selten gehört ein Paar zusammen.
Sie sind vom Bundschuh-Typus, d. h. Lederstücke
sind um den Fuß gebogen, an den Rändern zu Schlau-
fen durchlöchert, durch welche Riemen hindurchge-
zcgen sind, die um den Unterschenkel gewickelt,
gleichzeitig die Wadenbinden festhalten. Diese
Wickelgamaschen sind eine speziell westgermanische
Tracht, die sich bis ins 11. Jahrh. erhalten hat (Dar-
stellung Kaiser Heinrichs II. J 1024). Alles, was den
Unterschenkel bekleidet, Beinbinden, Wadenstrümpfe
und dgl. wurde ursprünglich mit „Hosen“ bezeichnet,
während die vom Gürtel abwärts reichendenBeinklei-
der „Bruch“ hießen (engl. breeches, holl, brock).
HANS MÜTZEL: DIE TRACHT DER GERMANEN UND IHR FORTLEBEN USW.
BAND 2
Persien und Kleinasien (Chlamys). So erscheinen
die südöstlichen d. h. die Donau-Germanen, Bastarner,
Daker und Markomannen auf den römischen Plasti-
ken des zweiten Jahrhunderts (Abb. 5). Ihr Kleid ist
bereits weiter durchgebildet als die Tracht der West-
germanen, wo noch viel mehr Nacktheit an Armen und
Beinen herrscht. Von ihnen haben wir kaum nen-
nenswerte Darstellungen in der römischen Provinzial-
kunst, in der Literatur nur die sehr unklaren Schil-
derungen von Julius Cäsar und Cornelius Taci-
tus (f 120 n. Chr.). Die aus Mooren Jütlands und
Hannovers stammenden Originalmännerkleider ge-
hören dem dritten und vierten nachchristlichen Jahr-
hundert an. Sie sind unter sich und auch mit den
ostgermanischen vom gleichen Typus, waren je-
doch knapper als diese. Das bestätigt auch Tacitus,
der nur die Westgermanen kannte: „Die allgemeine
Tracht ist ein Mantel, der mit einer Spange oder in
deren Ermangelung mit einem Dorn zusammengehal-
ten ist... Nur Wohlhabende tragen ein besonderes
Gewand, das nicht wallend ist, wie das der Sarma-
ten und Perser, sondern eng und anliegend und jeden
Körperteil hervortreten läßt“. In Hannover sind drei
männliche Moorleichen gefunden worden, in
Marx-Etzel, in Obenaltendorf und in Bernuthsfelde
(Abb. 6).
Der Mann von Marx-Etzel (Kr. Wittmund, gef.
1817, Prov.-Mus. Hannover) trägt einen wollenen
Leibrock ohne Ärmel, auf der rechten Schulter zusam-
mengenäht, links wurde er wie die griechische Chlaina
durch Fibeln geschlossen, dazu Kniehosen von ver-
schiedenen Gewebemustern. Einen an beiden Seiten
zusammengenähten Rock mit eingeschnittenem Hals-
loch (ponchoartig) trägt der Mann von Obenalten-
dorf (Kr. Neuhaus a. d. Oste, gef. 1900, Mus. in
Stade), auch er trägt Kniehosen und außerdem
eine breite Binde eigens für die Knie; die Waden
blieben nackt. Dazu kam ein großes plaidartiges
Tuch, ohne daß eine Fibel oder sonstige Ver-
schlußvorrichtung gefunden wurde. Sehr interes-
sant ist der Anzug des Mannes von Bernuthsfelde
(Kr. Aurich Mus. Emden), denn er weist nicht weni-
ger als 22 verschiedene Gewebearten auf. Er ist aus
43 einzelnen Stücken zusammengenäht, einschließlich
der den ganzen Kopf einhüllenden Kapuze sogar aus
51. Der Leibrock hat lange angesetzte Ärmel und einen
Brustschlitz. Breite Unterschenkelbinden, welche die
Zehen freilassen, sind die Beinbekleidung. Als Mantel
dient ein viereckiges, aus mehreren Einzelstücken zu-
sammengesetztes Tuch, das auf der rechten Schulter
mit einer Fibel geschlossen ist. Außerdem fand sich
bei ihm noch ein viereckiges großes Plaid. Aus
dem 4. Jahrh. stammt der Moorfund von Thorsbjerg
bei Süder-Brarup (Dän. Prov. Angeln) im Museum
zu Kiel (Abb. 7). Auch dort hat der Leibrock lange
angesetzte Ärmel von anderem Gewebe als der rot-
wollene Kittel selbst. Hierzu gehörten lange Hosen
mit angesetzten Füßlingen, ebenfalls von verschiede-
nen Gewebearten und eine grünwollene Decke von
2 m im Quadrat mit farbigem Rand und Fransen an
zwei auseinanderstoßenden Kanten. Kniehosen aus
Wollköper fanden sich im Moor von Daetgen (Kr.
Kiel); lange Hosen mit Schlaufen am oberen Rand
Abb. 8. Besiegter Germane. 1. Jahrh. n. Chr., Paris, Nat. Bibi.
zum Durchziehen des Gürtels und Stege zum Fest-
halten unter den Sohlen in Dammendorf (Kr. Eckern-
förde).
Schuhe hat man in großer Zahl gefunden. Aus dem
Bereich der Nordwestgermanen, Hannover, Olden-
burg, Schleswig-Holstein und Holland sind 35 Exem-
plare bekannt, aber selten gehört ein Paar zusammen.
Sie sind vom Bundschuh-Typus, d. h. Lederstücke
sind um den Fuß gebogen, an den Rändern zu Schlau-
fen durchlöchert, durch welche Riemen hindurchge-
zcgen sind, die um den Unterschenkel gewickelt,
gleichzeitig die Wadenbinden festhalten. Diese
Wickelgamaschen sind eine speziell westgermanische
Tracht, die sich bis ins 11. Jahrh. erhalten hat (Dar-
stellung Kaiser Heinrichs II. J 1024). Alles, was den
Unterschenkel bekleidet, Beinbinden, Wadenstrümpfe
und dgl. wurde ursprünglich mit „Hosen“ bezeichnet,
während die vom Gürtel abwärts reichendenBeinklei-
der „Bruch“ hießen (engl. breeches, holl, brock).