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LITERATUR
BAND 2
Dokumenten klar herauszuschälen. Schon die Werke von
Rumpf und Stratz begannen, sich gewisse Ergebnisse der
Ethnographie im Interesse der Kostümforschung nutzbar zu
machen, ohne indes die Fragen nach Schnitt oder Kon-
struktion konsequenter zu verfolgen. Erst Max Tilke in
seinen seit einem Jahrzehnt praktisch durchgeführten
Schnitt-Aufnahmen, die er 1923—25 in zwei großen Tafel-
werken zusammengefaßte (vgl. Referat im Oktoberheft der
Z. H. W. K. 10, 74 i) und Hans Mützel unternahmen
es, im wesentlichen unabhängig voneinander, die oben skiz-
zierte Aufgabe zum erstenmal ernsthaft und nach neuge-
fundenen Prinzipien in Angriff zu nehmen. Mützel hat be-
reits in seiner bekannten „Kostümkunde für Sammler“ Ber-
lin 1919 (2. Aufl. 1921) auf die Bedeutung gewisser Grund-
prinzipien für die richtige Erkenntnis und Bewertung be-
sonders durch den Sammler ausführlich hingewiesen. In
seinem neuen Werke bringt er nun alle diese Probleme der
Bekleidung in verändertem Gewände und in weiter ausge-
reifter Form zur Geltung. Und es muß gleich von vornher-
ein anerkannt werden, daß der Verf. sich seine Aufgabe nicht
leicht gemacht hat. Mit unermüdlicher Energie hat er das
weite Feld der östlichen und westlichen, der nördlichen und
südlichen Trachtenwelten durchackert, um zu möglichst
schlüssigen Grundsätzen zu gelangen, die sich ihm beim
wiederholten Vergleichen so vieler geographisch getrenn-
ter, aber prinzipiell verwandter Objekte ergaben. So ge-
winnt er schließlich bestimmte Kostümtypen, die er (im
I. Kapitel) in vier deutlich voneinander abgetrennte Grup-
pen gliedert: Ponchotracht, Wickeltracht, Hemdtracht und
Kaftantracht. Auf diese vier Prinzipien führt Verf. alle histo-
rischen wie alle Völkertrachten, lebende und abgestorbene,
zurück. Mit bemerkenswerter Klarheit und mit einer in langer
Erfahrung erarbeiteten Sachkenntnis gelingt es ihm, Ord-
nung und Methode in das schwer übersehbare Gesamtgebiet
des Trachtenwesens zu bringen. So gelangt er zu einer
neuartigen, bisher kaum versuchten vergleichenden Ko-
stümkunde wenigstens in ihren wesentlichen Umrissen,
die eine bedeutsame Grundlage für künftige Forschung bie-
ten wird. — Im II. Kapitel skizziert Mützel auf rund 50
Seiten die Entwicklung der Tracht in Westeuropa bis zur
Minnesingerzeit, auf die er seine neugewonnenen Beklei-
dungsprinzipien im ganzen einleuchtend anwendet.
Die folgenden zwei Kapitel behandeln im Zusammenhang
Einzelteile der Tracht wie den „Knopf“ und die „Hose“,
während das V. Kapitel den wichtigen, aber noch so wenig
geklärten Zusammenhängen des europäischen und orienta-
lischen Kostüms gewidmet ist. Den Schluß bildet eine
Plauderei über den Dandytypus.
Gegenüber den originellen und, wie betont, sehr frucht-
baren Grundgedanken des Werkes fallen einige kleine
Schönheitsfehler kaum ins Gewicht. Vielleicht lag eine ge-
wisse saloppe Redeweise, die dem gediegenen Charakter
der Arbeit m. E. nicht sehr zuträglich ist, in der Absicht des
Verfassers oder Verlegers, um das Buch mit seinen man-
cherlei schwierigen Untersuchungen auch für weitere Kreise
schmackhaft zu machen. Einen ernsteren Einwand möge
mir der Verfasser zugute halten, da er eine prinzipielle
Frage berührt: die Wahl der Abbildungen. Das Werk ist
außerordentlich reich illustriert mit zum großen Teil sehr
guten Aufnahmen nach Originalen. Dazwischen sind zweck-
') Das letzterschienene Werk „Osteuropäische Kostüme“ wird im nächsten
Heft besprochen werden
entsprechend die unentbehrlichen Rekonstruktionen des
Verfassers eingestreut. Was aber sollen hier die wirklich
ganz veralteten und so verzerrten Umzeichnungen nach den
authentischen Bilddarstellungen wie Dürer, Minnesinger-
handschrift, Miniaturen, Statuen, Grabsteinen usw. etwa
aus Hefner-Alteneck, Racinet, Baumeister? Zugegeben,
daß manche Einzelheiten auf den originalen Darstellungen
nicht immer von der gewünschten Deutlichkeit sind, so
würden doch die ausführlichen Bilderklärungen — ein be-
sonderer Vorzug des Buches! — über solche Unklarheiten
leicht hinweghelfen.
Wolfgang Bruhn.
Rittersaal Erbach i. 0. Herausgegeben von Hans Müller-
Hickler, Darmstadt, 1926.
Eine Mappe mit 33 Lichtdrucken, auf denen rund 160
Stücke der bekannten Waffensammlung im Schlosse des Gra-
fen Erbach im Odenwalde wiedergegeben sind, trägt obige
Aufschrift. Ein kleines Heft: „Bezeichnung der Rüstungen
und Waffen in dem Rittersaal Sr. Erlaucht des Grafen
Konrad zu Erbach, Erbach i. 0.“ enthält kurze Erläuterun-
gen. Leider zeigen die Aufnahmen den Zustand der Stücke
vor der Erneuerung und Umgestaltung des Saales, welche
der Verfasser geleitet hat. Da ein neuer Katalog auch
noch aussteht, müssen wir uns mit diesen „Bezeichnungen“
begnügen, sie ergänzen in gewisser Hinsicht die beschei-
denen Texte des 1868 zum ersten Male erschienenen „Gena-
ral-Catalogs“, den Graf Eberhard Erbach verfaßt hat. Was
man in ihnen vor allem vermißt, das sind Hinweise auf
Herkunft, Meister und Besitzer der Stücke — was man
gern entbehrte, schmückende Beiworte wie „Meisterwerke“,
„ausgezeichnete“ oder „vorzügliche“ Arbeit, die nichts be-
sagen, sowie die zahlreichen Druckfehler und Irrtümer (XXXI
Clefe statt Glaeve, XXXII Parier Dolch, IX Maximilian,
Rüstung, XXI Visir, XIV Albrcht, XXV grünem). Von
den Irrtümern bei den Bezeichnungen sei nur auf den zu
Tafel XXVI, wo 1 und 4, zu Tafel XXIV, wo 3 und 4 ver-
wechselt sind, sowie 8 völlig fehlt, hingewiesen. Was die
Nomenklatur und den sprachlichen Stil anlangt, wäre auch
mancherlei auszusetzen. Beispiele: die Bezeichnung „Rü-
stung“ statt Harnisch ist irreführend — aber wir treffen
auf den Ausdruck „Maximilian-Harnisch“ wie auf „Maxi-
milian Rüstung“ (siel). Zu XXIV: „Zwischen den Qua-
dern ist Atzerei eingestreut“ — was stilistisch auf der-
selben Höhe steht, wie „Eisenschmitt, der die Wappen der
Kurfürsten darstellt“ (XXVIII, 3) oder „Es sind Szenen
der Ilias mit großer Meisterschaft darauf getrieben“
(XXIII). Was andererseits Erforschung der Marken und
Wappen anlangt, bleibt die Beschreibung nahezu alles
schuldig. Wem gehört z. B. das Wappen auf dem Vorder-
buch T. IX? Wo sitzt die „Messingtauschierung“ T. XIII,
1? Wohin gehören die wappengeschmückten Helmbarten
T. XXIX und XXX? Nebenbei: XXIX, 3 ist natürlich nicht
eine Helmbarte, sondern ein Spieß, während umgekehrt
XXXI, 5 nicht eine „Spießklinge“, sondern eine Parti-
sane darstellt. Einer der wertvollsten Harnische, T. XXIV,
gehört zweifellos nach Nürnberg in die Werkstatt Valen-
tin Siebenbürgers oder Wilhelms von Worms d. J.; die Ver-
wandtschaft mit dem Bemelberg-Harnisch in Wien ist au-
genscheinlich. Über die Zuweisung von T. XIV „dem Herzog
Albrecht in Bayern gehörend“ wüßte man gern Genaueres.
Wenn der Harnisch 1549 bezeichnet ist — wo, verschweigt
LITERATUR
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Dokumenten klar herauszuschälen. Schon die Werke von
Rumpf und Stratz begannen, sich gewisse Ergebnisse der
Ethnographie im Interesse der Kostümforschung nutzbar zu
machen, ohne indes die Fragen nach Schnitt oder Kon-
struktion konsequenter zu verfolgen. Erst Max Tilke in
seinen seit einem Jahrzehnt praktisch durchgeführten
Schnitt-Aufnahmen, die er 1923—25 in zwei großen Tafel-
werken zusammengefaßte (vgl. Referat im Oktoberheft der
Z. H. W. K. 10, 74 i) und Hans Mützel unternahmen
es, im wesentlichen unabhängig voneinander, die oben skiz-
zierte Aufgabe zum erstenmal ernsthaft und nach neuge-
fundenen Prinzipien in Angriff zu nehmen. Mützel hat be-
reits in seiner bekannten „Kostümkunde für Sammler“ Ber-
lin 1919 (2. Aufl. 1921) auf die Bedeutung gewisser Grund-
prinzipien für die richtige Erkenntnis und Bewertung be-
sonders durch den Sammler ausführlich hingewiesen. In
seinem neuen Werke bringt er nun alle diese Probleme der
Bekleidung in verändertem Gewände und in weiter ausge-
reifter Form zur Geltung. Und es muß gleich von vornher-
ein anerkannt werden, daß der Verf. sich seine Aufgabe nicht
leicht gemacht hat. Mit unermüdlicher Energie hat er das
weite Feld der östlichen und westlichen, der nördlichen und
südlichen Trachtenwelten durchackert, um zu möglichst
schlüssigen Grundsätzen zu gelangen, die sich ihm beim
wiederholten Vergleichen so vieler geographisch getrenn-
ter, aber prinzipiell verwandter Objekte ergaben. So ge-
winnt er schließlich bestimmte Kostümtypen, die er (im
I. Kapitel) in vier deutlich voneinander abgetrennte Grup-
pen gliedert: Ponchotracht, Wickeltracht, Hemdtracht und
Kaftantracht. Auf diese vier Prinzipien führt Verf. alle histo-
rischen wie alle Völkertrachten, lebende und abgestorbene,
zurück. Mit bemerkenswerter Klarheit und mit einer in langer
Erfahrung erarbeiteten Sachkenntnis gelingt es ihm, Ord-
nung und Methode in das schwer übersehbare Gesamtgebiet
des Trachtenwesens zu bringen. So gelangt er zu einer
neuartigen, bisher kaum versuchten vergleichenden Ko-
stümkunde wenigstens in ihren wesentlichen Umrissen,
die eine bedeutsame Grundlage für künftige Forschung bie-
ten wird. — Im II. Kapitel skizziert Mützel auf rund 50
Seiten die Entwicklung der Tracht in Westeuropa bis zur
Minnesingerzeit, auf die er seine neugewonnenen Beklei-
dungsprinzipien im ganzen einleuchtend anwendet.
Die folgenden zwei Kapitel behandeln im Zusammenhang
Einzelteile der Tracht wie den „Knopf“ und die „Hose“,
während das V. Kapitel den wichtigen, aber noch so wenig
geklärten Zusammenhängen des europäischen und orienta-
lischen Kostüms gewidmet ist. Den Schluß bildet eine
Plauderei über den Dandytypus.
Gegenüber den originellen und, wie betont, sehr frucht-
baren Grundgedanken des Werkes fallen einige kleine
Schönheitsfehler kaum ins Gewicht. Vielleicht lag eine ge-
wisse saloppe Redeweise, die dem gediegenen Charakter
der Arbeit m. E. nicht sehr zuträglich ist, in der Absicht des
Verfassers oder Verlegers, um das Buch mit seinen man-
cherlei schwierigen Untersuchungen auch für weitere Kreise
schmackhaft zu machen. Einen ernsteren Einwand möge
mir der Verfasser zugute halten, da er eine prinzipielle
Frage berührt: die Wahl der Abbildungen. Das Werk ist
außerordentlich reich illustriert mit zum großen Teil sehr
guten Aufnahmen nach Originalen. Dazwischen sind zweck-
') Das letzterschienene Werk „Osteuropäische Kostüme“ wird im nächsten
Heft besprochen werden
entsprechend die unentbehrlichen Rekonstruktionen des
Verfassers eingestreut. Was aber sollen hier die wirklich
ganz veralteten und so verzerrten Umzeichnungen nach den
authentischen Bilddarstellungen wie Dürer, Minnesinger-
handschrift, Miniaturen, Statuen, Grabsteinen usw. etwa
aus Hefner-Alteneck, Racinet, Baumeister? Zugegeben,
daß manche Einzelheiten auf den originalen Darstellungen
nicht immer von der gewünschten Deutlichkeit sind, so
würden doch die ausführlichen Bilderklärungen — ein be-
sonderer Vorzug des Buches! — über solche Unklarheiten
leicht hinweghelfen.
Wolfgang Bruhn.
Rittersaal Erbach i. 0. Herausgegeben von Hans Müller-
Hickler, Darmstadt, 1926.
Eine Mappe mit 33 Lichtdrucken, auf denen rund 160
Stücke der bekannten Waffensammlung im Schlosse des Gra-
fen Erbach im Odenwalde wiedergegeben sind, trägt obige
Aufschrift. Ein kleines Heft: „Bezeichnung der Rüstungen
und Waffen in dem Rittersaal Sr. Erlaucht des Grafen
Konrad zu Erbach, Erbach i. 0.“ enthält kurze Erläuterun-
gen. Leider zeigen die Aufnahmen den Zustand der Stücke
vor der Erneuerung und Umgestaltung des Saales, welche
der Verfasser geleitet hat. Da ein neuer Katalog auch
noch aussteht, müssen wir uns mit diesen „Bezeichnungen“
begnügen, sie ergänzen in gewisser Hinsicht die beschei-
denen Texte des 1868 zum ersten Male erschienenen „Gena-
ral-Catalogs“, den Graf Eberhard Erbach verfaßt hat. Was
man in ihnen vor allem vermißt, das sind Hinweise auf
Herkunft, Meister und Besitzer der Stücke — was man
gern entbehrte, schmückende Beiworte wie „Meisterwerke“,
„ausgezeichnete“ oder „vorzügliche“ Arbeit, die nichts be-
sagen, sowie die zahlreichen Druckfehler und Irrtümer (XXXI
Clefe statt Glaeve, XXXII Parier Dolch, IX Maximilian,
Rüstung, XXI Visir, XIV Albrcht, XXV grünem). Von
den Irrtümern bei den Bezeichnungen sei nur auf den zu
Tafel XXVI, wo 1 und 4, zu Tafel XXIV, wo 3 und 4 ver-
wechselt sind, sowie 8 völlig fehlt, hingewiesen. Was die
Nomenklatur und den sprachlichen Stil anlangt, wäre auch
mancherlei auszusetzen. Beispiele: die Bezeichnung „Rü-
stung“ statt Harnisch ist irreführend — aber wir treffen
auf den Ausdruck „Maximilian-Harnisch“ wie auf „Maxi-
milian Rüstung“ (siel). Zu XXIV: „Zwischen den Qua-
dern ist Atzerei eingestreut“ — was stilistisch auf der-
selben Höhe steht, wie „Eisenschmitt, der die Wappen der
Kurfürsten darstellt“ (XXVIII, 3) oder „Es sind Szenen
der Ilias mit großer Meisterschaft darauf getrieben“
(XXIII). Was andererseits Erforschung der Marken und
Wappen anlangt, bleibt die Beschreibung nahezu alles
schuldig. Wem gehört z. B. das Wappen auf dem Vorder-
buch T. IX? Wo sitzt die „Messingtauschierung“ T. XIII,
1? Wohin gehören die wappengeschmückten Helmbarten
T. XXIX und XXX? Nebenbei: XXIX, 3 ist natürlich nicht
eine Helmbarte, sondern ein Spieß, während umgekehrt
XXXI, 5 nicht eine „Spießklinge“, sondern eine Parti-
sane darstellt. Einer der wertvollsten Harnische, T. XXIV,
gehört zweifellos nach Nürnberg in die Werkstatt Valen-
tin Siebenbürgers oder Wilhelms von Worms d. J.; die Ver-
wandtschaft mit dem Bemelberg-Harnisch in Wien ist au-
genscheinlich. Über die Zuweisung von T. XIV „dem Herzog
Albrecht in Bayern gehörend“ wüßte man gern Genaueres.
Wenn der Harnisch 1549 bezeichnet ist — wo, verschweigt