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Verein für Historische Waffenkunde [Editor]; Verein für Historische Waffenkunde [Contr.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — N.F. 2.1926-1928

DOI issue:
Band 2, Heft 9
DOI article:
Mützel, Hans: Die koptischen Gewänder und das Rätsel der klassischen Tunika
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.69978#0225

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HEFT 9 HANS MÜTZEL: DIE KOPTISCHEN GEWÄNDER UND DAS RÄTSEL DER KLASSISCHEN TUNIKA 213

Anders ist es mit der Tunika angusticlavia, bei der
je ein Streifen von der unteren Kante vorn bis zur
unteren Kante hinten über jede Schulter hinwegläuft.
Hierfür finden wir eine Erklärungsmöglichkeit in der
Tob oder Sebleh, dem Hemd der syrischen und ägyp-
tischen Fellachenfrauen, welche, wie auch die Toba
des westlichen Sudan aus drei senkrecht nebenein-
anderliegenden Teilen besteht (Abb. 6b). Die lan-
gen von der unteren Vorderkante über die Schultern
hinweg zur unteren Hinterkante verlaufenden Nähte
würden Veranlassung sein für das Dekorationsmo-

noch der anderen Kategorie angehörigen, in der
Plastik mit Schulternähten dargestellten Tuniken
brauchten also auch keine Claven zu haben.
Eine dritte Herstellungsweise gibt Varro an (De
lingua latina IX. 79), die zu seiner Zeit (f 27 v.
Chr.) wenigstens die übliche war, aber den Charakter
der Ursprünglichkeit ganz eingebüßt hat. Danach
bestand die klassische Tunika aus zwei an den Kan-
ten entsprechend aufeinandergenähten quadratischen
Stoffstücken, auf denen die breiten bzw. schmalen
clavi bereits vorhanden waren. Dies ist aber kein


Abb. 6. a Ägypt. Kalasiris. Leinen. Neues Reich ca. 1000 v. Chr. Berlin, Altes Mus. b Tob oder Sebleh. Hemd der Fellachen-Frauen. Dalmaticaform
Syrien. Ägypten. Gegenwart, c Gandurra der Abrabiten in Algier. Hauklisse-Wirkerei. Berlin, Kunstgewerbe-Mus.

tiv der Tunika angusticlavia. Vom Halsloch zum
Armloch verlaufende Achselnähte haben diese Ge-
wänder freilich nicht, sondern das Mittelteil hat ein
eingeschnittenes Loch für den Kopf. Bei Toba und
Sebleh sind die Seiten weit geöffnet, während sie
bei den ägyptischen Originalhemden aus dem Neuen
Reich im Berliner Museum, welche ebenfalls ein ein-
geschnittenes Kopfloch haben, bis auf Armlöcher an
den Oberecken seitlich geschlossen sind (Abb. 6a).
Die letzteren entsprechen der Schilderung, die Hero-
dot von dem ägyptischen Hemd, der Kalasiris, gibt.
Trifft unsere Vermutung zu, so müßte also die
klassische Tunika der Senatoren (laticlavia) mit
Schulternähten einen einzigen latus clavus vorn in
der Mitte haben, der die senkrechte Mittelnaht ver-
deckt; die t. angusticlavia dagegen, nach dem Prin-
zip der tob oder sebleh konstruiert, brauchte keine
Schulternähte zu besitzen. Die weder der einen
Wiedergabe des bisher unveröffentlichten Stücks behalten
wir uns vor.

Einwand dagegen, daß die klassische Tunika ur-
sprünglich der Familie der nordafrikanischen Kleider
entstammte, denn auch bei Varros Tunika entstehen
die Nähte längs der Schultern10).
Grundsätzlich muß von der trachtengeschichtlichen
Tatsache ausgegangen werden, daß ein ärmelloses
oder langgeärmeltes Hemd, ob mit oder ohne Naht
längs der Schultern, ob gegürtet oder ungegürtet, ob
weiß oder farbig ein altorientalisches, nicht europä-
sches Kleidungsstück ist, wie es bereits als die Tracht
der Nubier auf den altägyptischen Malereien der
18. Dynastie erscheint. In der orientalischen Pro-
vinz Syrien war es nach den Denkmälern der letzten
vorchristlichen Jahrhunderte herrschend und nach
Absterben der altägyptischen Tracht auch in Ägyp-
ten, aus dem heimischen Motiv der Kalasiris abge-
leitet, üblich. Der über die Schultern hinweg von vorn
10) Über diese Varro-Stelle und ihre Interpretation nähe-
res bei Blümner, Die Römischen Privataltertümer 1911.
S. 206 Anm. 10.
 
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