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Antiquitäten-Zeitung — 2.1864

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Verbürgte

Auflage 3000.


und Alterthumskunde.

¶¶

Verbürgte

Auflage 3000.


€ Abounenieut:
Nr. 30. Deutſchland u. Deſterxeich 2. ðo
vierteljährlich, Ausland M S. —.

Stuttgart, 25. Juli 1894.
(Erſcheint wöchentlich.)

Auzeigen:
Die Nonpareilezeile oder deren
Raum 20 Pfennig.

2. Jahrgang.

Ellys Autographenfamnilung.
Novelle von Theodor Heins.
( Nachdruck verboten)

(Schluß.)

— —

Dues Abſchreiben war eine langweilige Arbeit,
rund mehr wie einmal bedauerte ich daß eine Verviel-
‚fältigung der Briefe auf anderem Wege nicht angängig
war. AWber ich ließ mich die Mühe nicht ver-
drießen; es war ‚ein Uebermuth über mich
„gefommen, wie zur Zeit meiner tollſten Studenten-
ſtreiche. Jeder Brief wurde mit einem Theil
des Manufkripts ſorgfältig koupertirt und mit
der genauen Adreſſe derſehen. Mit beſonderem
Vergnügen malte ich mir aus, welche Geſichter
-wohl die einzelnen Hexren bei Empfang meiner
Sendung maͤchen wuͤrden. Ich trug die Briefe
ſelbft zur Poſt; ſie koſten alle doppeltes Porto.
Erwartungsvoil harrte ich der Dinge, die da
Loninien ſollten. Nach drei Tagen traf die
erſte Rückſendung ein; einer unſerer erſten
Romanſchriftſteller theilte mir in liebenswür-
diger Weiſe mit, daß es ihm ſeine Zeit leider
nicht erlaube, ſich mit der Beurtheilung fremder
Arbeiten zu befaſſen. Der Anfang war viel-
verſprechend. Von nun an kamen in kurzen
Zwiſchenräumen alle Sendungen zurück, um
ſofort gleich der erſten, mit einem neuen Be-
gleitbrief an eine andere Adreſſe verſchickt zu
werden Ich ging hierbei genau nach dem
Alphabeth. Eine Sendung folgte der anderen;
man war meiner Bitte um ſchleunige Erledigung
der Angelegenheit beſtens nadgekommen ; meine
Hauswirthin war ſehr erſtaunt über die vielen
„dicken“ Briefe, die ich in jener Zeit erhielt.

Und was war nun der Erfolg meiner Be-
mühungen? Ein großer Theil meiner Sendungen
kam, häufig auch unfrankirt, ohne jeden Be-
gleitbrief zurück, ſodaßz ich nur aus dem Poſt-
ſtempel auf den Abſender ſchließen konnte.
Zwei Herren hatten jedoch ihren Namen auf
der Ruͤckſeite des Kouverts vermerkt; das
genügte mir vollkommen. Ein anderer hatte
‚einen bedruckten Zettel beigeleegt, auf welchem
er bedauerte, dem Wunſche des p. p. Einſenders
nicht nachkommen zu können und ſich zugleich
jede weitere Einſendung verbat. Der Unglückliche mußte
jedenfalls mit derartigen Briefen überſchwemmt werden.
Hierbei muß ich feſtftellen, daß unter den unhöflichen
veuten, die mich keiner Zeile würdigten, keine Dame
war — auch an ſolche hatte ich meine Elaborate geſchickt.

Doch auch zahlreiche Begleitſchreiben erhielt ich,
die ich, unbekümmert um ihHven Inhalt, jedesmal
mit Freuden begrüßte. Manche entſchuldigten ſich, wie
der Äbſender des erſten Briefes, mit Mangel an Zeit
oder mit ihren Grundſätzen, die ihnen die Erfüllung

meiner Bitie unmöglich machten. Was Iag mir «an

ihren Gründen, ich hatte ja jeßt ihre Autogramme.
Kritiken kamen auch und ich muß leider geftehen, daß
die meiſten für mich ſehr wenig ſchmeichelhaft waren.
Faſt ſämmtliche Urtheile waren darüber einig, daß mir
ſeder Beruf zum Dichter abgehe; wenn ich das nicht
ſchon längſt ſelbſt eingeſehen hätte, nach einem ſo über-
wältigenden Votum fachkundiger Leute hätte es mir
klar werden müſſen. Während mich vor acht Jahren
ſchon eine einzige dieſer abſprechenden Kritiken zur
Verzweiflung gebracht haben würde, machten wir jetzt
gerade die ſchärfſten und biſſigſten das größte Vergnügen,


Aus Troja-Hiſſarlik. (Terxrt Seite 236,)

ein ſicheres Zeichen, daß für mich die Zeit des Singens
und Sagens endgültig abgeſchloſſen war. Ungemein
verſchieden waren die Begruͤndungen der einzelnen ah-
fälligen Urtheile. Meine Arbeiten müſſen wirklich ent-
fetzlich mangelhaft geweſen ſein, denn faſt ein Jeder
hatte etwas Anderes an ihnen auszuſetzen. Was der
Eine noch gelten ließ, verurtheilte der Andere unbarm-
herzig und umgekehrt! Zog ich die Summe aus den
geſänimten Kritiken, ſo war das Ergebniß, daß an den
Kindern meiner Muſe auch kein einziges gutes Haar
blieb. Gleich verſchieden war auch der Ton, in welchem

die einzelnen Schreiben gehalten waren. Während das
Eine von Spott, Sohn und Ironie förmlich troff, mahnte
ein Anderes in freundlichem Wohlwollen — ſo bot mir
zum Beiſpiel eine bereits angejahrte Schriftſtellerin an,
mit ihr in einen litterariſchen Briefwechſel zu treten,
durch den ich viel lernen köinne — und während ein
Drittes den polteruden Choleriker verrieth, war ein
Viertes ein wahres Muſter kühl⸗vornehmer Nichtachtung.
Gar mancher dieſer Briefe lieferte mir einen werthvollen
Beitrag zur Chaͤratteriſtik ſeines Abjender3, Bon einem
unſerer dedeutendſten Lyriker, deſſen Gedichte ſich be-
fonders durch die Zartheit und den Duft der
Sprache auszeichnen, erhielt ich zum Beiſpiel
ein Schreiben, das an Grobheit und Derbheit
der Ausdrücke nichts zu wünſchen übrig ließ.
Der Brief eines beliebten Humoriſten äthmete
ſo düſteren Peſſimismus, daß man aus ihm
den Verfaſſer ſo vieler zwergfellerſchütternder
Geſchichten unmöglich wiedererkennen konnte.
Ein bekannter norddeutſcher Poet ſchrieb la-
koniſch: „Lernen Sie ein Handwerk, aber
laſſen Sie um Himmels willen das Dichten!
Nuͤr Einer lobte meine Arbeiten in ſchmeichel-
hafter Weiſe; zugleich bat er mich, falls ich
Beziehungen zur Preſſe hätte, eine beigelegte
Beſprechung ſeines neueſten Werkes in die
Zeitungen zu bringen.

Nur Einer hatte mich erkannt. Ein weit-
bekannter Novelliſt ließ mir durch ſeinen Sohn
— der Schrift nach mußte das Bürſchchen zehn
Jahre alt ſein — mittheilen, daß er für —
Jutographenjäger nicht zu haben fei. Wochen-
lang ſetztẽ ich in der augegebenen Weiſe mein
Manbver fort. Der Erfolg, den mein Mittel
hatte, übertraf ſelbſt meine kühnſten Erwar-
tungen; als ich ſchließlich auch den Buchſtaben
3 meiner Schriftſtellerliſte erledigt hatte, war
ich im Beſitz von nahezu hundert Autogrammen,
unter denen die bedeutendſten Namen der deutſchen
Schriftſtellerwelt vertreten waren. Da ich
außerdem durch die Bemühungen eines be-
freundeten Kritikers eine Anzahl von Selbſt-
ſchriften der hervorragendſten Bühnengrößen
der Hauptſtadt erhielt, ſo war ich ziemlich
Jiege&gewiß : gegen einen jolchen Schatz konnte
die Firma S, G. Becker, Kaffee en gros, nicht
aufkommen.

Ellh's Geburtstag ſtand vor der Thür,
die Autogramme ſollten mein Geſchenk ſein.
Mein Verhältniß zu Elly war inzwiſchen wieder das
alte geworden. Nach dem bewußten Ballabend war
ich dem Hauſe des Regierungsrathes mehrere Tage
ferngeblieben. Dafür erhielt ich als wir uns wieder
in Geſellſchaft trafen, von Elly's Mutter energiſche
Vorwuͤrfe und — eine Einladung zum Thee für den
naͤchſten Abend. Da mir in der folgenden Zeit Gerhard
Becker, der ſich viel auf Reiſen befand, keinen beſonderen
Aulaß zur Eiferſucht bot, ſo waͤr bald der herzliche,
kameradſchaftliche Ton in meinem Verkehr mit Elly
wieder hergeſtelll. Willig überließ ich mich dem Zauber!
 
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